Es ist einer dieser kalten, dunklen Novemberabende, an denen Homburg nach Kultur verlangt. In der Aula des Gymnasiums Johanneums am Rande der Stadt aber ist es hell, warm – und voll. Bis fast auf den letzten Platz ausverkauft lädt die Reihe „HomBuch exklusiv“ zu einem wieder wirklich besonderen Gast: Schauspielerin Claudia Michelsen liest heute aus Texten über Marlene Dietrich – und zeichnet gemeinsam mit dem Publikum ein stilles, überraschend intimes Porträt eines wahren Weltstars.
Zu Beginn gehört die Bühne kurz der HomBuch: Vera Backes begrüßt die Gäste, dankt Schulleiter Oliver Schales, seinem Kollegium und den engagierten Schülern. Es gibt Cremant, Brezeln für den kleinen Hunger und frisch gebackenen Schokokuchen mit dem Johanneums-Adler drauf. Man spürt: Hier ist Routine im Spiel, aber eine, die von Herzblut lebt. Das Lesefest HomBuch, so erzählt Backes, sei erfolgsverwöhnt – und damit wird sie auch für diesen Abend recht behalten.
Dann betritt Claudia Michelsen die Bühne, die für den heutigen Tag extra aus Berlin angereist ist. Kein Showauftritt, keine Pose – eher ein leiser, konzentrierter Beginn. Sie erzählt, wie Marlene Dietrich in ihr Leben gekommen ist, wie aus einer Anfrage für einen Solo-Abend plötzlich eine tiefe Faszination wurde. Und sie erklärt, was das Publikum erwartet: ein Mosaik aus Marlene Dietrichs Autobiografie, der schonungslosen, später relativierten Sicht der Tochter Maria Riva, Erinnerungen des Regisseurs Josef von Sternberg sowie Magazin- und Zeitungsartikeln. Ein Dramaturg hat den Abend gebaut, Michelsen ist die Stimme, die das alles trägt.

Ein Leben zwischen Berlin, Hollywood und Frontunterkünften
Was folgt, sind gut zwei Stunden, in denen fast ausschließlich eines passiert: Es wird vorgelesen. Keine Bilder, kein Klavier, keine szenische Show – nur Text, Stimme, Licht. Das klingt nüchtern – und ist es irgendwie auch. Aber genau darin liegt an diesem Abend die Wirkung. Michelsen führt durch Marlene Dietrichs Kindheit im wilhelminischen Berlin, durch die strengen Jahre mit der Mutter, die ersten künstlerischen Versuche, die berühmte Geigenkarriere, die an einer Sehnenentzündung scheitert – und hinüber zum Theater, zur Schauspielschule und zum Film.
Der Aufstieg beginnt mit „Der blaue Engel“, mit der Entdeckung durch Josef von Sternberg, mit der Figur der Lola Lola, die Marlene Dietrich zum Mythos macht und sie nach Hollywood katapultiert. Es geht um Studio-Verträge, um das Bild der „Femme fatale“, das Paramount verkaufen will – und um eine Frau, die sich weigert, ihre Mutterschaft zu verstecken.
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Michelsen lässt Marlene in ihren eigenen Erinnerungen sprechen, wenn sie von der Tochter Maria erzählt, von Heimweh, von Dreharbeiten zwischen Glamour, Perfektionismus und innerer Unsicherheit. Die Schauspielerin kippt nicht in Imitation, sondern bleibt immer bei sich: ruhig, klar, unaufgeregt. Sie verleiht den Texten eine klare Kontur, ohne Marlene zu imitieren.
Starke Frau, harte Entscheidungen
Im zweiten Teil des Abends treten die großen Brüche dieses Lebens in den Fokus: Marlene Dietrich als überzeugte Anti-Nazi-Stimme, als Entertainerin nahe der Front und als Frau, die ihre deutsche Heimat öffentlich hinter sich lässt, um sich den Alliierten zuzuwenden. Michelsen liest Passagen, in denen Dietrich berichtet, wie sie für die US-Armee auftrat, in Nordafrika, Italien, Frankreich und sogar Deutschland, oft nahe bei den Soldaten.
Es kommen auch die großen Lieben zur Sprache: Rudolf Sieber, ihr Ehemann, der sie lebenslang begleitete; der Schriftsteller Erich Maria Remarque; und vor allem Jean Gabin, an dessen Seite sie tiefe Gefühle offenbarte. Michelsen lässt durchblicken, wie mit diesen Beziehungen auch Sentimentalität, Verletzlichkeit und Eifersucht mitschwingen.
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Gegen Ende wird der Abend düsterer: Es geht ums Älterwerden, um körperlich fordernde Bühnenjahre, immer wieder Unfälle und Eingriffe, um ein Loslassen – und um den endgültigen Rückzug in eine Pariser Wohnung, in der Dietrich ihre letzten Jahre verbrachte. Gesundheitsprobleme, Rückzugsschritte und ein sehr klarsichtiger Blick auf ein Lebenswerk, das kaum endete, aber sich veränderte.
Atmosphäre: Leise Konzentration statt Show
Im Saal ist es über weite Strecken mucksmäuschenstill. Man merkt, dass das Programm etwas fordert: zwei Stunden Sprache, dichte Texte, viele Zeitsprünge, dazu ein Leben, das alles andere als leicht konsumierbar ist. Wer einen lockeren Plauderabend mit Anekdoten erwartet hat, dürfte überrascht gewesen sein. Gleichzeitig funktioniert genau diese Reduktion aber erstaunlich gut: Die Konzentration im Raum ist hoch, Smartphones sind verstummt, niemand macht Handybilder, alle sind konzentriert. In der Pause wird dann aber geplaudert und sich ausgetauscht, man stößt mit Cremant an, unterhält sich über das gerade erlebte – und wandert dann wieder zurück zum Platz, als würde man noch einmal in eine andere Zeit eintreten.

HomBuch exklusiv – ein Format, das sich was traut
Am Ende steht langer Applaus, das Publikum erhebt sich, Standing Ovations für Claudia Michelsen. Man spürt, dass dieser Abend nicht über den direkten Charme oder große Lacher funktioniert hat, sondern über die Anstrengung, sich auf eine Persönlichkeit und ihre Texte einzulassen.
Für die HomBuch ist dieser Abend ein Beispiel dafür, was die Reihe „Besondere Begegnungen“ leisten kann, wenn sie sich wegbewegt vom klassischen Talk hin zu literarisch-bibliografischen Formaten. Homburg erlebte hier keine Marlene-Dietrich-Show, sondern eine Annäherung an einen Menschen, der mehr war als das berühmte Gesicht mit Hut und Zylinder – eine politische, eigenwillige, kompromisslose Frau, die ihren Mythos aktiv formte und zugleich unter ihm litt.
Tja, und Claudia Michelsen gelang es, genau diese Widersprüche hörbar zu machen: Disziplin und Melancholie, Glamour und Einsamkeit, Pflichtgefühl und persönliche Brüche. Dass die Texte bisweilen schwer sind und der Abend keinerlei „Entertainment-Schlupflöcher“ anbietet, gehört ehrlicherweise dazu. Genau deshalb bleibt dieser Abend im Gedächtnis des Homburger Publikums – still, aber eindringlich.

Wer an diesem Samstag im Johanneum dabei war, hat nicht einfach nur einer prominenten Schauspielerin beim Lesen zugehört. Er hat zwei Stunden lang mit Marlene Dietrich gelebt – und das ist für einen Novemberabend in Homburg eigentlich gar nicht so wenig.






















