Screenshot Live-Stream "Homburger Zukunftsgespräche - Quelle: Esra Limbacher / YouTube
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Wenn Parteien ein halbes Jahr vor einer Wahl zu Diskussionsrunden einladen, geht es im Grunde immer darum, eigene Botschaften unters Volk zu bringen. Das war beim Auftakt der „Homburger Zukunftsgespräche“ des SPD-Spitzenkandidaten für den hiesigen Bundestagswahlkreis, Esra Limbacher, nicht anders. Und doch war die Online-Diskussion über die Zukunft des Industriestandorts zwangsläufig mehr als nur Wahlwerbung. Schließlich ging es um das wirtschaftliche Standbein einer ganzen Region.

Mitunter könnte man bei bundespolitischen Debatten das Gefühl bekommen, bei den Themen Klimaschutz und Strukturwandel ginge es nur darum, die Welt von morgen zu schützen. Dass es dabei jedoch im Hier und Heute Menschen gibt, die angesichts dieses Wandels um ihre Existenz fürchten müssen, wird da gerne mal unter den Tisch fallen gelassen. „Sie denken ans Ende der Welt, wir ans Ende des Monats“: Jener Slogan der französische Gelbwesten bringt diesen Eindruck auf den Punkt. Die Diskussionsrunde forderte beim Auftakt der „Homburger Zukunftsgespräche“ nun zwar nicht dazu auf, Kreisverkehre zu besetzen, wie es die Gelbwesten tun. Aber doch stand die Zukunft der Industrie und damit von tausenden Existenzen in der Region im Mittelpunkt.

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Das dürfte wohl an wenigen Orten so angebracht sein, wie in Homburg. 11.000 Arbeitsplätze seien hier mit der Automobilindustrie verbunden, so rechnete es Ralf Reinstädtler von der IG-Metall Saarpfalz vor. 11.000 Menschen und Familien, die direkt von den politischen Entscheidungen rund ums Thema Strukturwandel betroffen sind, und deren Existenz davon abhängt, was Politiker entscheiden. Denn eines wurde an diesem Abend auch ganz deutlich: der Wandel kommt nicht aus dem Nichts. „Dieser Strukturwandel ist politisch erzeugt, nicht von Markt“, so Reinstädtler. Und aus dieser Feststellung folgte eine der Hauptfragen des Abends: Was sind die politischen Rahmenbedingungen, die gesetzt werden?

Da traf es sich gut, dass mit Anke Rehlinger (SPD) die saarländische Wirtschaftsministerin zur Diskussion eingeladen war. Und von ihr gab es zunächst ein deutliches Bekenntnis zum Industriestandort zu hören. „Ich denke, das Wichtigste ist, dass wir eindeutig klar machen: Wir stehen zur Industrie im Saarland“, so die stellvertretende Ministerpräsidentin. Schließlich hänge die Hälfte des saarländischen Bruttoinlandsprodukts von der Industrie ab. Doch Rehlinger machte auch klar, dass es aus ihrer Sicht ein reines Weiter-so nicht geben kann. „Wir müssen hin zu einer besseren Klimabilanz, aber eben immer noch mit viel industrieller Wertschöpfung.“ Dieser Wandel müsse gestaltet werden.

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Konkret auf die Industrie in Homburg bezogen, dürfte diese Aussage bedeuten: Der Verbrennungsmotor hat hier wohl keine Zukunft. Genau das macht Reinstädtler Sorge. „Die hiesigen Produkte werden oftmals in Verbrennungsmotoren verbaut. Deshalb stehen wir vor enormen Herausforderungen.“ Auch der Betriebsratsvorsitzende von Schaeffler in Homburg, Salvatore Vicari, wies auf diese Problematik hin und sparte nicht mit Kritik. „Bedauerlicherweise diskutieren wir nicht technologieoffen. Die E-Mobilität wird sehr stark favorisiert, dabei wären auch synthetische Kraftstoffe oder der Diesel eine Alternative.“

Auch Rehlinger forderte diesbezüglich mehr Offenheit und rekurrierte vor allem auf Wasserstoff als Antrieb. Schließlich sei das Saarland Modellregion bei diesem Thema. Zumindest Schaeffler scheint das jedoch nicht zu beeindrucken: Schließlich teilte das Unternehmen vor zwei Monaten mit, vorerst keine Komponenten für diese Technologie in Homburg zu fertigen. „Wir kämpfen jedoch weiter und möchten, dass die Serienfertigung der Teile der Brennstoffzelle hier angesiedelt wird“, sagte Vicari, der betonte, dass die diesbezüglichen Kompetenzen in Homburg da seien. „Wir sind da sehr stark in der Umformtechnologie, aber auch in der Beschichtungstechnologie.“ Dies wolle man auch mithilfe verstärkter Ausbildung weiterentwickeln.

Doch das Beispiel Schaeffler macht auch klar: Die Entscheidungen fallen letztlich nicht in Homburg, sondern auf anderen Ebenen. In den Unternehmenszentralen wie bei Schaeffler, aber eben ebenso in der großen Politik. „Das Ganze ist auch ein europäisches Thema. Wir konkurrieren mit dem asiatischen Raum oder mit Amerika. Wir brauchen hier klare Strukturen und nicht einseitig belastende Auslegungen“, fordert Vicari. Ein Thema, das die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen stark beeinflusst, ist ohne Frage die Energiepolitik. Hier geht Deutschland bekanntlich einen Sonderweg auf den Ralf Reinstädtler hinwies. „Wir wollen bei steigendem Energieverbrauch aus Kohle und Atom aussteigen. Wie das funktionieren wird, ist jedoch weiter ein ungelöstes Thema. Da ist staatliches Handeln gefragt.“ Wirtschaftsministerin Rehlinger unterstrich diesen Punkt und forderte dazu auf, Industrie- und Energiepolitik zusammen zu denken. Beispiel Wasserstoff. „Die energieintensive Produktion von grünen Wasserstoff werden wir nicht direkt und unmittelbar im Saarland umsetzen können.“ Dafür müsse ein Umbau hin zu Gaskraftwerken finanziert werden. „Dazu benötigt es Investitionsanreize für Kraftwerksbetreiber, die jedoch noch nicht ausgemacht sind.“ Und auch ansonsten versuchte Rehlinger zu zeigen, wo die Politik ansetzen müsste.

„Es geht beispielsweise darum, neue Flächen auszuweisen, auf denen sich Industrie ansiedeln kann.“ In Homburg sei das Gebiet Am Zunderbaum in diesem Zusammenhang wichtig. Außerdem benötige es finanzielle Unterstützung für die Unternehmen beim Meistern des Strukturwandels, wofür die Saarland-Eigenkapital-Gesellschaft vom Land eingerichtet worden sei. Darüber hinaus gehe es um die Weiterbildung der Arbeiter, die durch eine Transformations-Management-Gesellschaft durch das Land unterstützt werde.

Doch so sehr Rehlinger versuchte, konkrete Lösungsschritte der Politik anzuführen. Deutlich wurde an diesem Abend auch eines: Die Unsicherheit ist auch bei den Verantwortlichen groß, was das Thema Industriepolitik angeht. Auch diese Diskussion dürfte diesbezüglich nicht viel geändert haben. Doch immerhin rief sie in Erinnerung, dass es in Sachen Strukturwandel nicht nur um abstrakte Ziele geht, sondern um die Lebensrealität von Menschen. Eine Botschaft, die Esra Limbacher am Ende nochmal auf den Punkt brachte. „Es steht viel auf dem Spiel. Die Existenz von Familien und die Prägung einer ganzen Region.“ Man darf gespannt sein, ob es Limbacher schafft, dass diese Botschaft auch in Berlin verstärkt gehört wird, sollte er im September in den Bundestag gewählt werden.

 

 

 

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