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Digitalisierung und Konvergenz der Medien sowie ihre Auswirkungen auf die demokratische Gesellschaft waren die bestimmenden Themen beim Medienabend der LMS am 4. Juli 2016 in Saarbrücken.
Der seit Mai 2016 neu im Amt befindliche Direktor der LMS, Uwe Conradt, konnte in der Bel Étage am Deutsch-Französischen Garten die Ministerpräsidentin des Saarlandes, weitere Regierungsmitglieder, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, aus Kultur und Wissenschaft, Medienschaffende sowie regionale und überregionale Rundfunkveranstalter begrüßen. Die über 150 Gäste hatten sich zu einem Dialog über aktuelle Medienentwicklungen eingefunden, der durch einen Impuls der Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer eingeleitet wurde:
Sie lobte zunächst das neue Veranstaltungsformat, das es erlaube, ernsthafte Themen in lockerer Atmosphäre zu erörtern. Die Medienentwicklung befinde sich in einer dynamischen Situation, die sehr grundsätzliche Fragen aufwerfe. Diese bedürften einer intensiven politischen und gesellschaftlichen Debatte. Innovationen, die im Silicon Valley entstanden seien und zu globalen Strukturen der Kommunikation geführt hätten, erforderten eine kritische Betrachtung. Auch seien diese Entwicklungen aus europäischer Sicht weder kopierbar noch ohne weiteres auf hiesige Verhältnisse anwendbar. „Es sind zwei Grundfragen zu stellen“, so Kramp-Karrenbauer. „Neue Kommunikationsstrukturen wie, z.B. Soziale Medien, bringen gewiss auch neue Freiheiten, wie zum Beispiel im Verlauf des Arabischen Frühlings deutlich wurde. Aber solche demokratischen Erwartungen an die neue Medienwelt könnten dann enttäuscht werden, wenn nicht transparent ist, wer über die Relevanz von Informationen entscheidet, welche Nachricht auf Grund welchen Algorithmus ganz oben steht. Der Algorithmus darf nicht zur geheimen alchemistischen Formel der Zukunft werden. Notwendig ist eine kritische Durchdringung dieser komplexen Materie.“ Hierbei komme auch den Landesmedienanstalten eine wesentliche Funktion zu. Zweitens stelle sich an die Politik und den Gesetzgeber die Frage, wie Regulierung angesichts globaler Strukturen künftig ausgestaltet werden könne. „Klar ist, dass wir Regeln brauchen. Denn freie Marktwirtschaft ist nur dann frei, wenn sie auch fair ist. Das trifft auch auf Medienmärkte zu“, so Kramp-Karrenbauer.
Prof. Dr. Dieter Dörr, Direktor des Mainzer Medieninstituts, griff diese Themen in einem engagierten Vortrag auf: „Algorithmen und Interessen – wer bestimmt unsere Wahrnehmung?“ Medienangebote hätten in den letzten Jahren revolutionäre Veränderungen erfahren, sowohl durch ihre Digitalisierung aber auch durch die Digitalisierung ihrer Verbreitungswege. Jedwede Inhalte könnten auf verschiedenen Wegen verbreitet und auf beliebigen Endgeräten verfügbar gemacht werden. Dabei hätten sich auch neue privatisierte Kommunikationssysteme und Angebotsformen entwickelt, die Trennlinien zwischen dem Inhaltebereich und den Übertragungs­systemen seien unschärfer geworden. „Die Unterschiede zwischen klassischem Rundfunk und Online-Angeboten sind bei weitem nicht mehr so ausgeprägt wie früher. Bei vielen Abrufangeboten besteht, abgesehen von der Linearität, inhaltlich überhaupt kein Unterschied mehr.“ Grundsätzlich müsste die neue Fülle der Informationen die Meinungsfreiheit und Meinungsbildung in einer demokratischen Gesellschaft befördern. Die massenhafte Verbreitung meinungsrelevanter Inhalte sei aber auch gleichbedeutend mit einem Verlust an Übersichtlichkeit. „In dieser Situation gewinnen sog. Informationsvermittler oder ‚Intermediäre‘ zunehmend an Bedeutung“, so Dörr. Diese Informationsvermittlung werde aber von mächtigen Playern dominiert. So liefen über 95% der Suchanfragen über Google. „Intermediäre und Soziale Netzwerke werden selbst zu Inhalteanbietern. Vertreter dieser Mega-Player äußern ganz offen, dass sie ‚die Welt zu einem besseren Ort machen‘ wollen. Die Kriterien hierfür definieren sie aber selbst, einige sprechen ganz offen von einer ‚postdemokratischen Gesellschaft‘.“ Die Kriterien, nach denen zum Teil selbstlernende Algorithmen die Relevanz von Nachrichten bestimmten, seien völlig einer öffentlichen Debatte entzogen. Durch zusätzliche Personalisierung von Suchergebnissen komme es zudem zu einer Blasen- und Filterbildung, die zu geschlossenen Kommunikationsgruppen statt zu Offenheit und Vielfalt führe. Hier sei Regulierung gefragt. „Daher gilt es, bereits auf europäischer Ebene die Anbieter einer Suchmaschine zu verpflichten, die Auswahl und Listung der Angebote diskriminierungsfrei vorzunehmen. Dies kann etwa im Rahmen einer geänderten AVMD-Richtlinie geschehen. Die nationalen medienrechtlichen Regelungen sollten an eine Offenlegung zumindest von Teilen des Suchalgorithmus, beispielsweise im Rahmen eines „In-camera“-Verfahrens, denken.“ In einem dringenden Appell an die Politik forderte Dörr, ihrer Aufgabe zur Vielfaltssicherung nachzukommen. „Das Vielfaltssicherungsrecht des Rundfunkstaatsvertrags hat versagt! Die Intermediäre müssen unbedingt einbezogen werden. Algorithmen müssen offen gelegt werden, wenn Anlass zum Verdacht einer Manipulation besteht.“ Nähmen die Länder diese Kompetenzen nicht wahr, würden sie sie verlieren, konstatierte Dörr.
Prof. Dr. Stephan Ory, Vorsitzender des Medienrates der LMS, widmete sich ebenfalls Regulierungsfragen in einem Kurzvortrag zum Thema „Immer noch alles Rundfunk? Vielfaltssicherung in fragmentierten Märkten“. Er stellte zunächst für regionale Anbieter wie etwa den Hörfunk fest, dass diese Unternehmen sich nach wie vor weit überwiegend aus Erlösen aus dem klassischen Bereich finanzierten. Sowohl Fernsehen als auch Radio wiesen weiterhin hohe Nutzungszahlen aus. Das müsse und werde nicht so bleiben, wobei offen sei, wie schnell sich ein Wandel vollziehe und sich hinsichtlich der Vielfalt und des journalistisch-redaktionellen Angebots auswirke. „Die Politik hat hier die Aufgabe einen Ordnungsrahmen zu schaffen, der künftig auch kleinen und mittleren Unternehmen einen Marktzutritt erlaubt“, so Ory. Er skizzierte mehrere Stellschrauben, die der Regulierung zur Verfügung stünden: So könnten einige Anforderungen auch auf nichtlineare Angebote angewendet werden, z.B. Vorgaben für europäische Produktionen in Video-Abrufdiensten. Das Äußerungsrecht müsse ausgestaltet werden. Nutzer und Anbieter, die öffentlich meinungsbildend tätig seien, können mehr in die Verantwortung genommen werden. Das Telekommunikationsrecht habe im Interesse kleinerer oder neuer Anbieter für Interoperabilität der Systeme zu sorgen. Kartellrecht, Urheberrecht und Verbraucherschutz seien ebenfalls zu berücksichtigen. „Alle diese Stellschrauben bilden ein komplexes Räderwerk, das regelmäßiger Anpassung und Überprüfung bedarf. Die Politik scheint gerade erst dabei zu sein, dieses System zu verstehen. Der Medienrat der LMS versucht zusammen mit den anderen Medienanstalten in diesem Prozess Hinweisgeber zu sein, richtungsweisende Fragen zu stellen und Antworten mit unterschiedlichen Gesprächspartnern zu suchen. Er hat dabei immer auch die Vielfalt des regionalen Marktes und die Zugangschancen der regionalen Anbieter im Blick“, so Ory.
Uwe Conradt, Direktor der gastgebenden LMS, fasste angesichts der vorherigen Statements einige grundsätzliche und demokratiepolitische Aspekte aus Sicht einer Medienanstalt zusammen: Der fundamentale Wandel der letzten Jahre werde auch darin sichtbar, dass die drei weltweit mächtigsten Unternehmen alle im Medienbereich tätig seien. Die Medienregulierung dürfe angesichts dessen weder nur weiße Salbe verteilen noch eine weiße Fahne hissen. Vielmehr sei eine „Regulierung zur Freiheit“ gefordert. Freiheit des Zugangs sei ebenso zu gewährleisten wie Freiheit vor Manipulation. Einer völligen Deregulierung des Marktes, die von einigen Unternehmensvertretern gefordert wird, müsse im Interesse des demokratischen Gemeinwesens entgegengetreten werden. „Es ist offensichtlich, dass das Internet ebenso wie der Rundfunk eine zentrale Rolle bei der Informationsvermittlung und Meinungsbildung einnimmt. Entsprechend gilt auch die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Freiheit der Medien eine dienende Freiheit ist und die Funktion der ungehinderten freien Meinungsbildung erfüllen muss. In unserem Verständnis besteht eine Gewährleistungspflicht des Staates, Gefährdungen der Meinungs- und Informationsfreiheit auch präventiv zu verhindern. Schon das Potential zu Manipulation rechtfertigt regulatorische Eingriffe.“ Der Diskussionsprozess zu diesem Ordnungsrahmen müsse mit den gesellschaftlich relevanten Gruppen, der Wissenschaft und der Öffentlichkeit geführt werden. Ziel sei dabei, die Medienfreiheit zu erhalten und zu fördern. „Hierbei können die Landesmedienanstalten einen großen Beitrag leisten“, so Conradt.
Mit Dank an die Ministerpräsidentin und die Vorredner für die inhaltlichen Impulse sowie Klaus Dittrich für die Moderation lud Conradt die Gäste zu einem weiteren angeregten Sommerabend ein.
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