Dirk Hoffmann in der Homburger Altstadt - Bild: Stephan Bonaventura
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Unzählige Branchen leiden unter den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und deren Maßnahmen. Eine davon ist die Reisebranche. Dirk Hoffmann betrieb in Homburg jahrelang ein geschätztes und florierendes Reisebüro. Jetzt musste er es schließen, sein Lebenswerk am Standort Homburg ist Geschichte. Wir haben mit ihm über die schwere Zeit, die Reisebranche und die Auswirkungen der Maßnahmen insgesamt gesprochen.

HOMBURG1: Herr Hoffmann, wie ist denn der aktuelle Ist-Zustand bei Ihnen am Standort Homburg?

Dirk Hoffmann: Der Ist-Zustand ist der, dass das Büro in Homburg definitiv geschlossen wird. Die Räumlichkeiten sind bereits schon geschlossen, es findet kein Betrieb mehr in den Räumlichkeiten statt. Die Kunden, die wir im Moment noch haben, werden uns über Telefon und E-Mail auch weiterhin erreichen können. Buchungen, die noch bestehen, das sind noch ein paar Stück, werden natürlich hundertprozentig abgearbeitet. Wir hoffen natürlich auch, dass ein Teil der Homburger Kunden – nach einem Angebot, das wir ihnen gemacht haben – zu uns rüberkommt und dann auch die drei Prozent Cashback Aktion in Anspruch nimmt.

HOMBURG1: Wo arbeiten Sie denn momentan?

Dirk Hoffmann: Ich und meine Frau arbeiten hier aktuell im Reisebüro Eisele im Limburgerhof. Dorthin ist auch die Rufumleitung und natürlich der Abruf aller E-Mails eingerichtet. Hier wird dann standardmäßig alles professionell abgearbeitet, so wie wir es bisher auch in Homburg gemacht haben – mit voller Kompetenz und allem, was dazugehört.

HOMBURG1: Sie hatten in Homburg einige Mitarbeiter, was ist mit diesen passiert, konnten die Menschen schon neue Arbeit finden?

Dirk Hoffmann: Die Mitarbeiter musste ich aufgrund der Coronakrise natürlich auch kündigen. Ein Teil hat bereits schon wieder neue Arbeit in Aussicht. Ein anderer Teil ist noch auf Suche nach Arbeit. Das ist der Stand, den ich jetzt im Moment habe. Sie wurden aber regulär gekündigt, so dass sie auch nichts zu befürchten hatten, dass sie beispielsweise kein Geld vom Arbeitsamt bekommen würden. Das ist alles schon von mir geregelt gewesen.

HOMBURG1: Erzählen Sie uns, wie kam es zu dieser schlimmen Situation für Sie, wie fing alles an und wie hat sich das Ganze über die letzten Monate bezogen auf das Reisegeschäft entwickelt?

Dirk Hoffmann: Wir hatten im Januar einen wirklich tollen Buchungsmonat, ein ganz leichtes Plus gegenüber dem Januar des letzten Jahres und es sah alles sehr vielversprechend aus, auch mit einer kleinen Steigerung. Es war alles relativ entspannt, wir hatten viel Arbeit und dann kamen die ersten Meldungen – das war im Februar. Es hieß in München sei ein Corona-Fall aufgetreten. Diese Meldung ging durch Deuschland und bereits daraufhin haben wir die ersten Umsatzeinbußen von über 50 Prozent gehabt. Die Kunden waren natürlich verunsichert. Man wußte nicht wie es weitergeht. Ist das eine kurze Geschichte oder dauert es länger an. Daher wurde sich erstmal in Zurückhaltung geübt. Im März ist die Sache ja dann mehr oder weniger eskaliert. Unsere Umsatzeinbrüche lagen da schon bei fast 90 Prozent. Die Zurückhaltung der Kunden wurde immer stärker und dann folgte der Lockdown. Wir haben dann sehr kurzfristig und schnell versucht zu reagieren, haben unsere Mitarbeiter auf Kurzarbeit gesetzt damit so wenig Gelder wie möglich aus dem Unternehmen rausgeht, sondern man die Unterstützung der Bundesregierung voll ausnutzen kann. Mit dem Lockdown war alles erst einmal dicht. Die bisher gebuchten Reisen wurden dann von den Reiseveranstaltern sukzessive immer weiter abgesagt. Ein Zielgebiet folgte auf das andere, was sich dann auf über 600.000 Euro Stornos hochsummiert hat. Bereits erhaltene Provisionen mussten dann an den Veranstalter natürlich zurückgezahlt werden, denn wir haben erst Anspruch auf die Provision wenn der Kunde abgereist ist.

Zur Erklärung: Das sind Provisionen für vermittelte Reisen, die verschiedene Veranstalter nach der Buchung gezahlt haben, um in den Reisebüros eine Liquidität gewährleisten zu können. Gerade weil in den ersten drei, vier Monaten durch die wenigen Abreisen die Liquiditätsdecke in den Reisebüros traditionell recht schwach ist.

Durch die ganzen abgesagten Reisen wurden die Provisionen aber dann komplett zurückgefordert. Dann steht man von heute auf morgen mit ein riesen Kostenblock da, muss diesen vor sich herschieben und alles irgendwie stemmen. Provisionen gab es seit März überhaupt keine mehr, in den Lockdown-Zeiten wurden keinerlei Buchungen gemacht. Selbst das Buchungsverhalten im Moment ist sehr, sehr erhalten. Es wird hier und da mal etwas für die Wintersaison nachgefragt. Es gibt auch die eine oder andere Umbuchung, die sich auf gebuchte Reisen für das nächste Jahr bezieht aber insgesamt kommt gerade an Buchungen nichts rein. Ich stand und stehe natürlich immer mit der Bank in Verbindung. Wir haben dementsprechend versucht Kapital zu bekommen. Mein Unternehmensrating ist sehr gut, einen Kredit zu bekommen wäre für mich kein Problem gewesen. Wenn man sich dann aber hinsetzt und darüber nachdenkt, wird einem schnell vieles klar. Angenommen ich bekomme 80.000€ und soll diese dann in den nächsten 10 Jahren zurückzahlen, dann sind das in den nächsten zehn Jahren im Monat 2000 Euro, die definitiv fehlen. Und in zehn Jahren bin ich dann 63 und habe bis dorthin noch nichts bzw. nur sehr wenig verdient weil ich nur mit dem Abzahlen von Krediten beschäftigt bin. Da fragt man sich natürlich schon: Ist es das, was ich möchte?

HOMBURG1: Hat sich die Bundesregierung für die Reisebranche stark genug gemacht?

Dirk Hoffmann: Also die Hilfe gegenüber den Reisebüros war im Grunde genommen erst einmal gar nicht gegeben. Sämtliche Aktionen sind mehr oder weniger in der Luft verpufft. Es gab dann wirklich über viele Wochen in vielen Städten ganz große Kundgebungen und Demonstrationen und die wurden ganz einfach nicht gehört. Politiker, die für den Tourismus zuständig sind, waren einfach nicht da. Die haben dann lieber über die wirtschaftliche Situation von der Gastronomie erzählt. Hierzu sage ich auch heute noch: Wer Gastronomie hat und nicht die Chance genutzt hat, dass man außer Haus verkaufen kann oder ein Abholgeschäft macht, der ist doch selber schuld. Ich hätte das direkt gemacht. Ich hätte in dem Moment umgehend einen Heim- und Lieferservice aufgebaut, nur damit ich da einigermaßen etwas an Geldern reinbekomme. Wer da nichts machte, ist selber schuld. Das Wort der Reisebüros ist auf den ganzen Demonstrationen jedenfalls komplett untergegangen. Dann ging es auf einmal los. Erst wurde eine Fluggesellschaft insolvent, darauf die nächste. Erst an dem Punkt wurde man ganz langsam wach und hat angefangen irgendwelche Konjunkturprogramme auf den Weg zu bringen. Die waren nur komplett am Ziel vorbei. Die Übergangslösungen, die dann gemacht wurden, sind wenigstens eine Möglichkeit, dass man den Verlust aufgrund des Lockdowns ein wenig auffangen kann.

HOMBURG1: Hat die Bundesregierung alles richtig gemacht? Wie kritisch muss man die Entscheidungen der Politik hier betrachten?

Dirk Hoffmann: Ich gebe der Regierung schon irgendwo eine Schuld, weil das eigentlich nicht sein kann. Der Unternehmer, der völlig unverschuldet in so eine Situation reinkommt, steht ganz plötzlich vor dem Scherbenhaufen seines Unternehmens. Jahrelang haben Unternehmer Kredite abgezahlt. Und gerade wenn man sich freut, dass man jetzt wieder andere Sachen wieder planen könnte, weil keine Raten mehr zu zahlen sind, kommt solch eine Situation.

HOMBURG1: Kommen wir kurz auf die aktuell Reisementalität der Deutschen. Insgesamt gibt es ja genug Reiserückkehrer. Im ersten Moment sollte man meinen, da fließt genug Geld in der Branche. Dem ist aber nicht so, wie gestaltet sich das Ganze momentan?

Dirk Hoffmann: Es wird im Moment in Deutschland gerade ein Hotel- und Ferienwohnungtourismus durchgeführt, der sich relativ frühzeitig abgezeichnet hat. Hier sind dementsprechend die Zahlen nach oben geschossen. Die Hotels mussten dabei auch die Auflagen der Regierung erfüllen. Viele Hotels laufen mit 66 Prozent Auslastung weil der Rest definitiv frei bleiben muss. Insgesamt ist dies ein Niedrigsegment. Wenn jemand eine Woche in einem Hotel im Doppelzimmer geht, beispielsweise Nord- oder Ostsee, dann sind das vielleicht fünf-, sechs-, siebenhundert Euro pro Person mit Halbpension und davon gehen an uns dann zehn Prozent. Von diesen Sachen leben wir eigentlich nicht, das ist nur zum Füllen der ganzen Statistik sehr gut. Denn es ist ein großer Unterschied, wenn eine Familie im Vergleich eine sieben- oder achttausend Euro Pauschalreise bucht, wo ich dann zehn Prozent Provision bekomme. Die Arbeit ist aber bei beiden Segmenten die gleiche. Ich habe in der letzten Zeit mit vielen Freunden und anderen Reisebüros gesprochen. Es wird so sein, dass mit dem großen Reisebürosterben diesen Monat zu rechnen ist. Der September wird ein Monat werden, in dem ganz viele Abmeldungen stattfinden werden und auch viele Insolvenzen vom Reisebüro und Reiseveranstalter erfolgen. Definitiv.

Das Reisebüro von Dirk Hoffmann in der Homburger Altstadt wird nicht mehr öffnen. – Bild: Stephan Bonaventura

HOMBURG1: Weil viele bis zu einem gewissen Zeitpunkt wirklich versucht haben zu überleben aber jetzt an einem Punkt sind, der keinen Sinn mehr macht?

Dirk Hoffmann: Richtig. Genauso ist es. Irgendwann ist halt auch Schicht. Wir haben Rückmeldungen von Freunden, die uns erzählt haben, dass sie längst an ihr Erspartes gegangen sind. Ganz einfach weil man schon so früh im Jahr von der Krise getroffen wurde. Teilweise haben sie sogar ihre Rentenfonds aufgelöst damit sie die Kosten deckeln können. Denn die fixen Kosten sind nunmal einfach da – Miete, Lizenzen und vieles mehr geht alles einfach weiter. Genau wie logischerweise Personalkosten – auch wenn man einen großen Teil von der Regierung über das Kurzarbeitergeld bekommt. Die Kosten laufen dennoch weiter. Kredite wollen auch bezahlt werden, Leasingfahrzeuge, Strom und mehr. Da schaut nachher keiner drauf. Es gibt eben fixe Kostenblöcke in jedem Unternehmen und das Geld dafür muss man erst einmal verdienen. Von daher wird es noch schlimmer kommen, es funktioniert meist nur über die Schiene der Mischkalkulation in dem Moment.

HOMBURG1: Kommen wir am Ende nochmal zurück nach Homburg. Wie haben Sie die Zeit hier empfunden?

Dirk Hoffmann: Das kann ich mit zwei Worten beantworten: Sau gut! Ich kenne die Homburger Kunden seit vielen, vielen Jahren. Das war immer eine treue, sehr schöne Gemeinschaft, die ich dort erlebt habe. Egal ob Homburg selbst oder das gesamte Umland woher meine Kunden kamen. Es ist ständig ein Geben und Nehmen gewesen und es tut mir unendlich leid mein Geschäft, mein Lebenswerk in Homburg, aufgeben zu müssen. Unverschuldet. An dieser Stelle ein Riesendank an alle meine Kunden der vergangenen Jahre, es hat mir immer viel, viel Spaß gemacht.

HOMBURG1: Herr Hoffmann, wir wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute und danke für Ihre Zeit.

Das Interview führte Stephan Bonaventura.

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