Prof. Dr. med. Sven Gottschling - Foto: Stephan Bonaventura
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Homburg1: Schönen guten Tag Herr Prof. Dr. Gottschling. Das Kabinett hat seine Zusage zur Teillegalisierung von Cannabis erteilt. Wie ist Ihre Meinung hierzu?

Prof. Dr. med. Sven Gottschling: Dieses Gesetz ist natürlich im Vergleich zu dem, was mal ursprünglich geplant war, jetzt schon ein relativ holpriger und vermurkster erster Schritt. Das ist, glaube ich, aber einfach dem Umstand geschuldet, dass klar wurde, dass der große Wurf mit der EU und auch teilweise mit anderen Parteien so nicht umsetzbar ist. Man hat sich jetzt, glaube ich, dazu entschlossen, dass man das schrittchenweise umsetzt. Und man kann trefflich streiten, ob die erste Idee, jeder darf drei Pflanzen zu Hause züchten und man darf über irgendwelche selbst gegründeten nicht kommerziellen Clubs gemeinsam züchten und abgeben, so gut ist. Wir haben eine Entkriminalisierung in dem Sinne, dass jeder 25 Gramm mit sich herumschleppen darf. Ob das jetzt so der große Wurf ist, ich sage mal nein. Ich würde mich eher freuen, wenn wir das später über eine Modellregion oder über, ich sage mal, lizenzierte Fachgeschäfte in einem größeren Stil dann tatsächlich legalisieren, weil ich glaube, Schritt 1 ist schon ein ziemliches Geschwurbel und es ist sehr komplex. Das wird auch erst einmal Zusatzaufgaben für Polizei und Justiz bedeuten. Das heißt, diese initial einst geplante Entlastung wird man im Schritt 1 so noch nicht spüren.

Homburg1: Was denken Sie, warum das im ersten Schritt nicht direkt als eine Modellregion genutzt hat?

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Prof. Dr. med. Sven Gottschling:  Ich finde es ohnehin relativ verschwurbelnd und komplex. Ich glaube, dass man sich an verschiedenen anderen Ländern orientiert hat, die auch solche Modelle über diese Social Clubs gefahren haben. Man war da so semi-kreativ, behaupte ich jetzt mal, und man wollte wohl einfach auch jetzt nicht von staatlicher Seite zu viel Aufgaben an der Backe haben und hat erstmal gesagt: liebe Kleingartenvereine, macht mal selber und jeder darf sich ein paar Pflänzchen irgendwo hinbasteln und wir nehmen das aus dem Betäubungsmittelrecht. Das ist ja auch so ein nächster Schritt, es ist dann kein Rauschgift mehr, sondern ist dann eine normale berauschende Substanz, aber läuft nicht mehr unter dem Betäubungsmittelrecht. Man hat jetzt ein paar kleinere Weichenstellungen in Angriff genommen, aber wenn man sich anschaut, was von dem ursprünglichen großen Wurf übrig geblieben ist, ist das ist schon sehr kleinteilig, das ist sehr zurückgenommen und es ist sehr komplex. Sehr viele Menschen werden nicht in den Genuss kommen, es sich irgendwo vernünftig und auch legal organisieren zu können und das ist auch mein Hauptkritikpunkt. Wir verwenden hier im medizinischen Bereich verschiedene Cannabinoide, Cannabis, aber auch Medikamente auf Cannabis-Basis für schwerkranke Patienten. Es gibt aber eine Menge Menschen, die nicht so ganz gravierende gesundheitliche Beschwerden haben, die auch davon profitieren würden, denen wir das aber zu den momentanen Bedingungen nicht medizinisch auf Kosten der Krankenkassen verordnen dürfen.

Homburg1: Was wären solche?

Prof. Dr. med. Sven Gottschling:  Das sind zum Beispiel Schmerzen, die mit Schlafstörungen einhergehen. Oder chronisch entzündliche Darmerkrankungen und rheumatoide Arthritis. Da reicht oftmals die Erkrankungsschwere nicht aus, um Cannabis von der Krankenkasse finanziert, ärztlich verordnet zu bekommen. Es sind aber Menschen, die erhebliche gesundheitliche Beschwerden haben, die es gerne nehmen würden. Momentan war es noch illegal für diese Menschen, jetzt würde es dann legal sein. Trotzdem müssen sie gucken, wie komme ich denn da dran? Muss ich jetzt Mitglied in irgendeinem Club werden, nur damit ich meine gesundheitlichen Beschwerden behandeln kann? Das wünsche ich mir anders und da wäre eben ein Schritt über eine Modellregion zu sagen, okay, wir kümmern uns jetzt in einem bestimmten Bereich flächendeckend um eine geregelte Versorgung. Die beinhaltet aber auch wirklich, dass wir ein bisschen sortieren. Bedeutet je nachdem wer es nur für Genusszwecke am Wochenende quasi als Partydroge konsumieren möchte. Und auf der anderen Seite die Menschen mit einem echten gesundheitlichen Problem. Menschen, die zum Beispiel auch eine ärztliche Expertise brauchen, eine Auswahl der Präparate, eine Therapiesteuerung im Sinne von Eindosierung und auch eine Rücksprachemöglichkeit mit einem Arzt. Das finde ich gehört eigentlich in diese Verantwortung mit rein, weil es sich natürlich trotzdem um eine potente Substanzklasse handelt, mit der man jetzt nicht einfach so herumspielen sollte. Ich sehe das insgesamt als riesengroße Chance bei uns im Saarland. Wir haben hier die höchste medizinische Expertendichte, was die Behandlung mit medizinischem Cannabis anbelangt, in ganz Deutschland. Es ist eine überschaubare Region, alle sind bestens untereinander vernetzt. Wir wären die optimale Modellregion, denn wenn wir nicht an diesem Modellregionenprojekt teilnehmen, dann werden mit dem Schritt 1, der jetzt beschlossen ist über die Regierung, eigentlich nur die Dealer gestärkt. Weil die dürfen jetzt straffrei mit 25 Gramm durch die Gegend fahren und brauchen keine Angst mehr haben, wenn sie in irgendeine Kontrolle kommen, dass ihnen was passiert. Das wäre für mich eigentlich so der schlechteste Weg.

Homburg1:  Welche Vorteile hat eine Modellregion außerdem Ihrer Meinung nach?

Prof. Dr. med. Sven Gottschling: Wenn wir sagen, wir sind Modellregion, dann würde das bedeuten, wir können Präventionsprogramme für Schulen anbieten, wir können bestens informieren, wir könnten zum Beispiel an einigen wenigen Standorten im Saarland, ich sage jetzt mal fünf Shops, in jedem Landkreis einen, sehr qualifiziertes, gut weitergebildetes Personal zur Verfügung stellen, die eine echte, gute, fundierte Beratung machen. Ich stelle mir das auch so vor, dass man kein Cannabis an Menschen unter 21 verkauft. Warum? Weil je jünger die Menschen, insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene sind, desto größer das Risiko für Psychoseentstehung und für andere gravierende gesundheitliche Störungen, weil die Gehirnvernetzung noch nicht abgeschlossen ist und weil THC da tatsächlich auch negative Effekte haben kann. Zudem könnten wir das Ganze wunderbar mit Studien begleiten. Wir haben hier an der Universität in Homburg einen Fahrsimulator. Wir könnten hier beispielsweise freiwillige Medizinstudenten unter Cannabis setzen und dann zu definierten Zeitpunkten in den Fahrsimulator setzen und zeitgleich Bluttests machen. Es wäre dadurch auch möglich vernünftige Grenzwerte festzulegen, wir können die Heranwachsenden, Gruppen von 18- bis 21-Jährigen kontrolliert beobachten, können wirklich dokumentieren, was passiert da. Sie sehen, wir hätten unendlich viele gute Möglichkeiten, das für und wider tatsächlich mit wissenschaftlichen Daten zu belegen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir im Saarland diese Chance nicht einfach so herschenken. Der nächste Schritt, das ist Säule 2, wären die Modellprojekte. Die sollen ja als Nächstes irgendwo im Kabinett diskutiert und beschlossen werden und Säule 3 wäre dann tatsächlich der flächendeckende Verkauf über lizenzierte Fachgeschäfte, wo ja unklar ist, kommt es jemals aufgrund von EU-Recht, aber das wäre ja dann die echte Legalisierung.

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Symbolbild – So könnte ein spezieller Cannabis-Shop in der Modellregion Saarland aussehen

Homburg1: Können Sie noch einmal auf die verschiedenen Säulen eingehen, womit alles anfängt und worauf es hinausläuft?

Prof. Dr. med. Sven Gottschling: Gerne. In dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf ist Säule 1 festgelegt, da ist die Modellregion noch gar nicht so thematisiert und ausgeführt. Es wird einen Nachtrag zu diesem Gesetz geben, das ist dann Säule 2, da kommen die Modellregionen ins Spiel und es wird einen weiteren Nachtrag geben, das ist Säule 3, mit diesem flächendeckenden Ausrollen von lizenzierten Fachgeschäften. Wir sind jetzt auf Säule 1, das heißt Entkriminalisierung, Eigenanbau plus Social Clubs plus jeder darf 25 Gramm mit sich führen. Das ist Säule 1. Das wird eine Bundesgesetzgebung sein, an der wird auch zum Beispiel Bayern nicht vorbeikommen. Das können die blöd finden und sich auf die Füße stellen, aber das ist dann eine bundeseinheitliche Regelung. Was dann aber im nächsten Schritt passiert und das ist diese Säule zwei, nämlich Teilnahme an Modellregionen, das kommt erst und da sehe ich halt eine Chance, weil momentan heißt dieser Schritt eins, der Dealer kann jetzt unbehelligt mit 25 Gramm in der Tasche durch die Gegend fahren, das finde ich persönlich nicht so prickelnd. Ich habe selber fünf Kinder, die Vorstellung, dass das noch unproblematischer überall einfach vertickert werden kann, macht mich nicht froh. Aber ich sehe diese Idee einer Modellregion schon als Chance, wenn wir dann sagen: im Saarland haben wir folgende fünf Geschäfte, da könnt ihr das legal erwerben, ihr müsst euch ausweisen, eure Daten werden erfasst, da werden auch Nebenwirkungen abgefragt. Es würden dann auch gesundheitliche Daten, natürlich auf freiwilliger Basis erfasst, damit man einfach mal schaut, wie viele Menschen nehmen es aus Genusszwecken, wie viele nehmen es, weil sie Schlafstörungen haben oder Schmerzen u.s.w. Auch da fehlt uns ja bisher jedwede Datengrundlage. Von diesen 400 bis 1000 Tonnen, die jedes Jahr in Deutschland konsumiert werden, wissen wir bis dato nicht, wer nimmt es, um sich fröhlich zu machen, wer nimmt es, weil er ein echtes gesundheitliches Problem hat. Da hätte ich gerne Daten und das ist eine Riesenchance in einem überschaubaren Flächenland genau das alles einmal wirklich gezielt unter die Lupe zu nehmen.

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Kann das Saarland zur Cannabis-Modellregion werden?

Homburg1: Kommt uns die aktuelle Regierung im Saarland da vielleicht zugute?

Prof. Dr. med. Sven Gottschling:  Auf jeden Fall sehe ich es deswegen auch als Chance, die gesamte Legalisierungsgeschichte ist ja ein Ampelthema. Zur Ampel gehört auch die rote Farbe und im Saarland ist nun mal rot allein regierend. Das heißt, die saarländische Landesregierung kann völlig problemlos beschließen, jawohl, das gesamte Saarland wird Modellregion. Das können die im Alleingang machen, die brauchen keinen Koalitionspartner fragen, die können das einfach durchsetzen. Das heißt, es wäre nirgendwo leichter etablierter als im Saarland – politisch. Es wäre nirgendwo besser koordinierbar und auch in sehr vernünftige Bahnen lenkbar als im Saarland, weil höchste medizinische Expertise in der Fläche und wir stehen mehr oder minder in den Startlöchern, das sofort begleiten zu können. Wir können flächendeckend Präventionsprogramme an Schulen machen, wirklich darüber informieren, dass wir sagen, jawohl, es ist legal, aber es ist im Alter von 16 einfach die dämlichste Idee überhaupt, aus folgenden Gründen. Wir könnten hier wirklich auch gute Prävention machen, z.B. gemeinsam mit Vereinen. Wir könnten über diese fünf Fachgeschäfte dafür sorgen, dass wir auch ein Stück weit filtern. Man sieht ja oft direkt, dass es bei manchem keine gute Idee wäre, ihm jetzt etwas zu verkaufen. Hier könnten die Menschen zu Stellen gelenkt werden, die ihnen helfen.

Homburg1: Mit welchen Möglichkeiten könnte hier den unterschiedlichen Menschen geholfen werden?

Prof. Dr. med. Sven Gottschling: Man muss sich verschiedene Fragen stellen: Wer ist beispielsweise die 75-jährige Oma, die einfach ihre Rheumaschmerzen behandelt haben möchte? Die würden wir natürlich jetzt nicht mit einer Blüte behandeln, sondern die würde von uns dort zum Beispiel einen Extrakt bekommen, der sehr viel weniger schnell anflutet, das heißt dieses High-Gefühl wird nicht erzeugt. Es gibt ja jede Menge Menschen, die möchten gerne die Wirkung der Cannabis-Pflanzen-Inhaltsstoffe, aber eben nicht das Rauschgefühl. Und auch sowas können wir steuern. Der Dealer wird niemals mit einem Fläschchen Öl um die Ecke kommen und sagen: Ich habe hier was für deine Kniegelenkarthrose. Der wird immer sagen, guck mal, ich habe hier was, das knallt. Aber – wenn es gesteuert wird, dann können wir eben den Schwarzmarkt ganz anders trockenlegen als mit Säule 1, jeder darf 25 Gramm mit sich rumschleppen, da wird der Schwarzmarkt sich ganz herzlich bedanken. Aber über diesen Modellprojektcharakter können wir hier eine echte Steuerungsfunktion mit absolut geprüfter Ware einbauen. Wir beraten, wir empfehlen Menschen unterschiedliche Darreichungsformen, unterschiedliche Stärken, angepasst an ihre Bedürfnisse. Und wir überprüfen das Ganze auch in puncto Wirkung und Nebenwirkungen und lassen Studien mit im Hintergrund laufen.

Homburg1: Wir reden dann aber von Cannabis, welches von der Bundesregierung freigegeben und speziell für diese Shops hergestellt und überprüft wird.

Prof. Dr. med. Sven Gottschling: Wir haben jetzt aktuell schon über die Bundes-Cannabisagentur drei Firmen, die Cannabis in Deutschland für medizinische Zwecke produzieren. Diese Firmen stehen absolut in den Startlöchern, ihre Produktionskapazitäten hochzufahren, auf Zuruf. Natürlich geht das nicht über Nacht, die Firmen brauchen schon einen Vorlauf von einigen Monaten, aber die wären bereit und in der Lage zum Beispiel für Modellregionen zu sagen: hier für das Saarland produzieren wir, mal eine Hausnummer, eine Tonne im Jahr. Folgende drei Blütensorten mit genau diesen Inhaltsstoffen, noch folgende sieben Extrakte und mit diesem Portfolio könnten wir sowohl den Genuss- und Freizeitmarkt bedienen als auch den medizinischen Sektor, d.h. die Menschen, die jetzt nicht krank genug sind für diese kassenfinanzierte Versorgung und hätten eigentlich alles was es braucht, um mit total sicherer und geprüfter Ware die Menschen zu versorgen, die in irgendeiner Form einen Bedarf haben, sei es tatsächlich als Rauschmittel, sei es als Medikament.

ground cannabis on clear plastic bagHomburg1: Sie sagen es selbst. “Sei es tatsächlich als Rauschmittel.” Hier setzen ja genau die Argumente der Gegner an. Auch wenn ich es mir kontrolliert in einem Shop kaufen kann, habe ich nachher vielleicht diese 25 Gramm und schieße mich mit den 25 weg, auf gut deutsch. Und genau das wollen viele eben nicht haben oder vermeiden.

Prof. Dr. med. Sven Gottschling: Ja, aber das hat man doch über Jahrzehnte versucht zu verhindern. Das ist doch krachend gescheitert. Wenn ich jetzt sage, ich bin dagegen, das kann ich ja sein. Ich selbst finde das auch in Teilen nicht gut, aber es passiert ja schon und jeder kann sich völlig problemlos jetzt überall Straßen-Cannabis kaufen und weiß aber gar nicht, was er da bekommt. Er weiß nicht, ob da noch irgendeine Chemikalie drauf bedampft ist, die ihn vielleicht gefährdet oder in einer, ich sage mal, sehr unschönen Art und Weise high macht. Derselbe Mensch, der vielleicht dieses gestreckte oder in irgendeiner Form getunte Gras verkauft, wird vielleicht das nächste Mal sagen: Du ich habe aber auch noch andere Sachen. Und dann sind wir ja auch noch mal bei diesem Thema Einstiegsdroge, was ja immer wieder nach vorne geworfen wird und ich bleibe dabei: Cannabis ist keine Einstiegsdroge. Ist es nicht und war es auch nie, sondern es wird darüber zur Einstiegsdroge, indem ich es illegal bei irgendeinem Dealer beziehen muss, der noch die Taschen voll hat mit anderen Schweinereien und der mir unter Umständen schon bei der letzten Lieferung irgendetwas auf die Blüten gesprüht hat, das mich vielleicht in einer anderen Art und Weise abhängig macht, als es Cannabis tut. Das ist das eigentliche Risiko. Und wenn wir genau das dem Dealer aus der Hand nehmen, das Cannabis über eine seriöse Vertriebskette in geprüfter Form an den Mann bringen, in diesen Läden, die es dann in der Modellregion gibt oder auch in den lizenzierten Fachgeschäften, wird es nichts Gestrecktes, Gepanschtes oder irgendwelche anderen Drogen geben. Damit ist das Risiko sich fälschlicherweise etwas reinzuziehen, was man gar nicht wollte oder eben gelockt zu werden mit: hier habe ich noch Ecstasy, hier habe ich noch dies und das, willst du nicht noch ein bisschen Koks? Dieses Risiko wird damit dramatisch minimiert und das wäre einfach mein Ziel. Außerdem: Ich denke jeder freut sich, wenn eben nicht mehr der Dealer irgendein Geschäft macht, sondern wenn zum Beispiel auch die Bundesregierung über Steuergelder, die damit ja auch generiert werden, Geld verdient. In meiner Vorstellung müssen in diesen Läden wirklich gut geschulte Menschen mit einer gewissen medizinischen Vorbildung arbeiten. Ich stelle mir das so vor, dass wir ein Netzwerk an Ärzten haben, dass da medizinische Fachangestellte teilweise als Beratende tätig werden, eventuell Apotheker, pharmazeutisch-technische Assistenten, gut qualifiziertes, ausgebildetes Personal. Wir würden damit sogar Arbeitsplätze ins Saarland bringen. Das könnte für den einen oder anderen wirklich ganz interessant werden und es wird von Regierungsseite Geld verdient. Es kommen Steuergelder rein und wir können tatsächlich Geld bei Polizei und Justiz sparen, wenn wir die nächsten Schritte gehen und eine wirkliche Entkriminalisierung hinbekommen.

Homburg1: Es würde aber auch bedeuten, dass hier natürlich der Datenschutz eine hohe Rolle spielen wird. Es müssen Daten gespeichert werden, wieviel man gekauft hat, vielleicht gehen die Daten auch an die Krankenkassen, vielleicht resultieren auch dem Konsum Folgeerkrankungen. Datenschutz wird also hier sehr wichtig werden, sehen Sie das auch so?

Prof. Dr. med. Sven Gottschling: Ganz klares Ja. Andererseits wird man ohnehin, und das war von vornherein vorgesehen, sich ausweisen müssen. Man wird seine Daten hinterlegen müssen, denn wie kann ich sonst verhindern, dass jemand in fünf verschiedene Geschäfte geht und überall 25 Gramm holt und am nächsten Tag gerade nochmal seine Runde dreht. Wenn man schon sagt, man deckelt das, muss man es ja auch in irgendeiner Form überprüfen können und das wird nur dann funktionieren, wenn man tatsächlich auch bestimmte Daten von den Menschen einfordert. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Ich glaube, dass sehr viele Menschen, wenn sie ein gesundheitliches Problem haben, durchaus auch bereit sind, freiwillig Daten zu geben, wenn wir sagen, wir interessieren uns für die Wirkungen und Nebenwirkungen. Viele halten das sicherlich für sehr sinnvoll und geben hierfür diese Daten raus. Man wird dann aber auch Sorge tragen müssen, dass diese Daten nur in anonymisierter oder pseudonymisierter Form weiterverarbeitet werden können, Datenschutz ist hier jedenfalls ein Riesenthema, ganz klar.

Homburg1: Wir haben eben davon gesprochen, dass gerade das Saarland mit seiner Region hier einen Alleinschritt machen könnte. Gibt es denn schon konkrete Gespräche auch mit Fachverbänden, die sich mit der Regierung auseinandersetzen?

Prof. Dr. med. Sven Gottschling: Ich habe jetzt einen ersten Schritt unternommen und um Gespräche gebeten. Ich warte jetzt auf eine Reaktion vonseiten der Landesregierung. Ich gehe davon aus, dass wir jetzt bald in Form von Podiumsdiskussionen, mit Pro und Contra, mit Regierungsvertretern und mit Drogenbeauftragten uns hier schnellstmöglich einmal zusammensetzen, um zu einer guten Position zu komme. Meine Positionierung ist die: Eine Nichtteilnahme als Modellregion würde ja nur bedeuten, im Saarland hätten mit dem Schritt 1 dieser Gesetzesentscheidung erstmal nur die Dealer ein fröhliches Grinsen im Gesicht. Man würde jedwede Steuerungsoption und auch jedwede Möglichkeit hier kreativ für die Zukunft Daten zu sammeln und auch eine möglichst gute und sichere Versorgung für die Bevölkerung zu gewährleisten, aus der Hand geben. Da hätte ich wenig Verständnis für, denn es ist ein Ampelprojekt, damit ist die SPD ja auf Bundesebene definitiv mit im Boot und von daher wäre es für mich total unlogisch, dass sich die Landesregierung einem Modellprojekt verschließt, das ja ausschließlich mehr Sicherheit, mehr Daten, eine bessere Versorgung, aber auch eine bessere Prävention zum Ziel hätte. Ich glaube, dass die bisher gezeigte vornehme Zurückhaltung, eher auf einen Mangel auch an Informationen zurückzuführen ist und von daher brauchen wir einen intensiven Austausch.

Homburg1: Würde eine solche Art der Legalisierung auch Auswirkungen haben auf Ihre Arbeit hier am UKS in Homburg?

Prof. Dr. med. Sven Gottschling:  Ich denke, dass nur wenige unserer Patienten sagen würden: prima, jetzt muss ich nicht mehr zum Arzt oder in die Klinik, jetzt kann ich mir das auch in irgendwelchen lizenzierten Geschäften besorgen. Die, die es jetzt aktuell kassenfinanziert bekommen, müssten es ja dann selber bezahlen. Viele unserer Patienten sind wirklich so schwer krank, dass sie einfach auch, um eine gewisse Therapiesicherheit zu haben, das Ganze ärztlich gesteuert brauchen. Ich denke nicht, dass unsere Patientenzahl relevant nach unten geht, sondern es eher die Menschen betrifft, die bisher in dem System keinen Arzt gefunden haben, der sie behandelt. Cannabis als Medizin ist ein Bürokratiemonster. Ich muss gefühlt Kilotonnen Anträge bei den Krankenkassen stellen, die immer wieder abgelehnt werden. Das ist sehr frustrierend für Ärzte und für die Patienten. Ich kenne ganz viele Ärzte, die sagen, ich halte es grundsätzlich für sinnvoll, aber das nervt mich so, dass ich es nicht mache. Diese Patienten finden dann Anlaufstellen über diese Geschäfte in der Modellregion oder über lizenzierte Fachgeschäfte und finden darüber eben auch Zugang zu einer medizinischen Versorgung, die sie sonst so nicht bekommen hätten.

Homburg1: Herr Prof. Dr. Gottschling, vielen Dank für ihre detaillierten Einblicke in das Thema.

Das Interview führte Stephan Bonaventura.

 

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