Sie bringen Computern bei, Gesten zu verstehen oder entwickeln neuartige Therapieansätze gegen Krankheiten wie Krebs: Junge Wissenschaftler forschen an der Universität des Saarlandes auf internationalem Niveau. Am Donnerstag, dem 14. Oktober, ab 18 Uhr, zeichnet die Universitätsgesellschaft 15 herausragende Doktorarbeiten aus allen Fakultäten mit Eduard-Martin-Preisen aus.
Wenn in Zukunft Computer ohne viele Worte verstehen sollen, was Menschen wollen, müssen sie auch Handzeichen und Fingerzeige begreifen. Menschen sprechen auch mit ihren Händen. Sie zeigen auf Dinge oder in Richtungen, recken zustimmend den Daumen hoch oder betonen mit einer Fülle an Gesten, was ihnen wichtig ist. Deuten Computer- und Robotersysteme dies alles richtig, brauchen Nutzer künftig keinen Controller mehr, um mit ihnen zu interagieren – alles liefe natürlicher. Franziska Müller hat mit ihrer Doktorarbeit bei Informatik-Professor Christian Theobalt an der Universität und am Max-Planck-Institut für Informatik dazu beigetragen, dass dies näher rückt: Sie hat dem Computer mit einer neuen Software beigebracht, die Bewegungen von Hand und Fingern blitzschnell zu erfassen – nur mit einer einzigen, einfachen Webkamera – und zwar auch dann, wenn die Hand teils verdeckt ist, sich frei bewegt oder mit zwei Händen gestikuliert wird. Was sich so einfach anhört, ist höchst komplex: Algorithmen auf Basis neuronaler Netze zu entwickeln, um Gesten der Hände zu erkennen, gehört zur Königsklasse. Auch der Softwarekonzern Google zählt Franziska Müller zum vielversprechendsten Wissenschaftsnachwuchs weltweit und gab ihr ein „Google PhD Fellowship“, die Deutsche Telekom verlieh ihr den „Frauen-Mint-Award“. Die Universitätsgesellschaft des Saarlandes lässt jetzt den Eduard-Martin-Preis folgen.
In der Königsklasse sind in der Saarbrücker Informatik viele junge Forscher unterwegs, die hier früh an Spitzenforschung mitarbeiten. So auch Ralf Jung: In seiner Doktorarbeit bei Professor Derek Dreyer an der Universität und am Max-Planck-Institut für Softwaresysteme leistete er einen maßgeblichen Beitrag zur Sicherheit der Programmiersprache „Rust“: Kleine Start-ups ebenso wie die größten Technologie-Konzerne von Microsoft bis Google setzen Rust für die Entwicklung von Betriebssystemen, Webbrowsern und anderen sicherheitskritischen Anwendungen ein. In seiner Doktorarbeit liefert Jung als Erster weltweit den formalen Beweis für die Sicherheit von Rust. „Wir konnten die sogenannte Typsicherheit verifizieren und damit zeigen, wie Rust automatisch und zuverlässig ganze Klassen von Programmierfehlern verhindert“, sagt Ralf Jung. Darüber hinaus entwickelte der Informatiker ein Tool namens „Miri“: Das Werkzeug für Sicherheitstests von in Rust geschriebenen Programmen hat sich bereits in der Industrie etabliert. Für seine Doktorarbeit hat er mehrere international renommierte Preise erhalten – und jetzt auch einen der diesjährigen Eduard-Martin-Preise.
Mit dem Blick französischer Autoren auf die Stadt Berlin von der Zeit der Romantik bis heute hat sich Hannah Steurer in ihrer Doktorarbeit bei Professorin Patricia Oster-Stierle befasst. Die Literaturwissenschaftlerin hinterfragt, wie über zwei Jahrhunderte hinweg die vom alles überstrahlenden Einfluss der Stadt Paris geprägten Zeugen ihrer Zeit die Stadt an der Spree wahrnahmen. Hannah Steurer begab sich dafür auf Spurensuche in Texten aus mehr als 200 Jahren – darunter Romane, Novellen, Briefwechsel, Reiseberichte. Rund 30 von ihnen wählte sie für ihre Doktorarbeit aus. Wie nehmen die Verfasser, die dort eine Zeitlang lebten oder auf Reisen verweilten, die Stadt wahr? „Im frühen 19. Jahrhundert ist Berlin für sie eine Stadt ohne Geschichte, die sie als ‚Wüste‘ beschreiben – nicht nur wegen der sandigen Anreise durch die Mark Brandenburg“, erklärt Hannah Steurer. Berlin mit seinen vergleichsweise wenigen Salons kam gegen Paris nicht an – obwohl es durch die Preußen-Könige zusehends an Größe und Glanz gewann. Aber die Entdeckung von Berlin in der französischen Literatur kam in Gang. Bedeutende Etappe war die Weimarer Republik: „In dieser Zeit ist Berlin ein Laboratorium der Avantgarde, eine Art neues Paris. Berlin erfindet sich selbst, aus der französischen Perspektive wird es zur Stadt der Zukunft“, sagt Steurer. NS-Diktatur, Weltkrieg, Ruinen des Untergangs und schließlich Teilung führten zum Riss auch aus französischer Perspektive. „Nach dem Mauerfall wandelt sich das Bild. Berlin wird Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten, wird wieder Laboratorium, erscheint nun geradezu als Verkörperung der Geschichte“, sagt Steurer. Diesen Paradigmenwechsel im französischen Berlindiskurs beleuchtet die Nachfuchsforscherin in ihrer Arbeit: Sie zeigt, wie sich in den Texten ein Bild der Stadt formt, wandelt und immer neu entsteht – und erhält hierfür den Eduard-Martin-Preis.
Videokonferenz und Online-Vorlesung ohne eingefrorene Mienen, schnelle Anbindung für Unternehmen auf dem Land, HD-Filme streamen oder Online-Games spielen, ohne, dass es ruckelt: Blitzschnelles Internet mit flinkem Up- und Download großer Datenmengen wird in unserem Alltag immer wichtiger. Auf diesem Gebiet der Hochgeschwindigkeits-Elektronik forschte Christopher Uhl im Rahmen seiner Doktorarbeit bei Professor Michael Möller: Sein Ziel war, elektrische Schaltungstechnik von Mikrochips zu entwickeln und zu optimieren. Gemeinsam mit Forschern der ETH in Zürich und der Bochumer Micram Microelectronic GmbH entwickelte Uhl im Rahmen von EU-geförderten Forschungsprojekten einen Mikrochip, der pfeilschnell viele Daten innerhalb von Rechenzentren übertragen kann. „Diese Anwendung ist gerade mit Blick auf den steigenden Bedarf nach schnelleren Internetverbindungen sehr aktuell. Konkretes Ziel war es, mehrere langsame Datenkanäle auf eine einzelne Leitung mit einer möglichst hohen Geschwindigkeit, also mit hoher Datenrate, zu bündeln“, erklärt der Ingenieurwissenschaftler. Dieses Ziel erreichte er nicht nur, er überbot sogar den herrschenden Geschwindigkeits-Rekord. Darüber hinaus trug Uhl auch zur Theorie allgemeiner Schaltungskonzepte bei, die nötig sind, um die so entwickelten Mikrochips auch in die Praxis zu bringen. „Dabei lag der Fokus vor allem darauf, die bisher nur experimentell beobachteten Effekte und Probleme auch analytisch zu verstehen, um damit die Mikrochips weiter verbessern zu können“, erklärt Christopher Uhl, der für diese exzellente Leistung jetzt mit dem Eduard-Martin-Preis ausgezeichnet wird.
Eine vielversprechende neue Doppelstrategie im Kampf gegen Krebs eröffnet ein Wirkstoff, an dem die Pharmazeutin Charlotte Dahlem im Team von Professorin Alexandra K. Kiemer forscht: Der Naturstoff „Thioholgamide A“, kurz ThioA, hindert den Tumor daran, zu wachsen, und bringt zugleich auch die körpereigene Abwehr dazu, die Tumorzellen anzugreifen. Die Fresszellen, auch Makrophagen genannt, sind das mobile Einsatzkommando des menschlichen Körpers gegen Feinde wie Bakterien, Viren oder auch Tumorzellen: Sie jagen solche Widersacher und machen ihnen den Garaus. In Tumoren gibt es in dieser Spezialeinheit aber Überläufer. Der sogenannte M2-Typ lässt sich von Krebszellen „anheuern“: Senden sie bestimmte Botenstoffe, unterstützen M2-Makrophagen fortan das Wachstum des Tumors und sabotieren die Immunabwehr. Halten sich in der Mikroumgebung um den Tumor herum viele M2-Überläufer auf, fällt die Prognose eines Krebspatienten mitunter schlechter aus. ThioA nimmt in diesem Mikroumfeld die M2-Überläufer ins Visier: Der Naturstoff polt die tumorfördernden M2-Makrophagen um und macht aus ihnen wieder „gute“ Makrophagen, die Tumorzellen bekämpfen und die körpereigene Abwehr auf den Plan rufen, statt sie zu drosseln. „Zudem wirkt ThioA auf den Zellstoffwechsel und hemmt das Tumorwachstum“, erklärt Charlotte Dahlem, der als Erster gelang, diese doppelte Wirkung von ThioA nachzuweisen. Für ihre Arbeit erhielt sie bereits den Preis der Hans-und-Ruth-Giessen-Stiftung und nun auch den Eduard-Martin-Preis der Unigesellschaft.
Insgesamt 15 herausragende Doktorarbeiten aus allen Fakultäten zeichnet die Universitätsgesellschaft in diesem Jahr aus. Die Preisträger erhalten im Rahmen einer hybriden Preisverleihung am 14. Oktober, ab 18 Uhr, als Symbol für die Ehre eine Eulen-Statuette und ein Preisgeld von 500 Euro. Den Festvortrag zum Thema „Circular Economy – Wissenschaft oder Wirtschaft?“ hält Professor Frank Mücklich, Professor für Funktionswerkstoffe und Geschäftsführer der Universitätsgesellschaft des Saarlandes.
An der Hybrid-Veranstaltung, in deren Rahmen die Preisträger ihre Arbeiten vorstellen, können Interessierte nach Anmeldung vor Ort (mit begrenzter Teilnehmerzahl unter Einhaltung der 3G-Corona-Regel) oder online über die „Microsoft Teams“-Plattform teilnehmen. Anmeldung per E-Mail an gradus@uni-saarland.de.
Weitere Infos unter: www.uni-saarland.de/gradus
Alle Preisträger und ihre prämierten Arbeiten im Überblick:
– Fakultät für Empirische Humanwissenschaften und Wirtschaftswissenschaft
Dr. Christian Theres – Doktorvater: Prof. Dr. Stefan Strohmeier
„Antecedents and Consequences of Digital Resource Management – An Exploratory Meta-analytic Structural Equation Modeling (E-MASEM) Approach to a Multifaceted Phenomenon“
Dr. Sarah Schäfer – Doktormutter: Prof. Dr. Tanja Michael
„Perspectives on Self-Reported Resilience – Cross-sectional, Longitudinal, and Meta-Analytical Considerations“
– Medizinische Fakultät
Dr. Maximilian Menger – Doktorvater: Prof. Dr. Matthias Glanemann
„Die Auswirkungen von Erythropoese-stimulierenden Substanzen auf die Revaskularisierung transplantierter Langerhans’scher Inseln“
Dr. Praneeth Chitirala – Doktorvater: Prof. Dr. Jens Rettig
„Maturation, acidification and fusion of cytotoxic granules in primary CD8+
T lymphocytes“
– Fakultät für Mathematik und Informatik
Dr. Franziska Müller – Doktorvater: Prof. Dr. Christian Theobalt
„Real-time 3D Hand Reconstruction in Challenging Scenes from a Single Color or Depth Camera“
Dr. Ralf Jung – Doktorvater: Prof. Dr. Derek Dreyer
„Understanding and Evolving the Rust Programming Language“
Dr. Simon Schmidt – Doktorvater: Prof. Dr. Moritz Weber
„Quantum automorphism groups of finite graphs“
– Naturwissenschaftlich-Technische Fakultät
Dr. Charlotte Dahlem – Doktormutter: Prof. Dr. Alexandra Kiemer
„In vitro and in vivo characterization of therapeutic approaches for solid tumors: natural compounds and novel targets“
Dr. Kathrin Kattler – Doktorvater: Prof. Dr. Jörn Walter
„Epigenetic characterization of human hepatocyte subpopulations in context of complex metabolic diseases and during in vitro differentiation of hepatocyte-like cells“
Dr. Christian Schütz – Doktorvater: Prof. Dr. Rolf Hartmann
„Novel Quorum Sensing Inhibitors targeting PqsR“
Dr. Christopher Uhl – Doktorvater: Prof. Dr. Michael Möller
„Optimierung mit Taktsignalen angesteuerter Stromschalter in breitbandigen Hochgeschwindigkeitsschaltungen in Bipolar-Technologie“
– Philosophische Fakultät
Dr. Hanna Steurer – Doktormutter: Prof. Dr. Patricia Oster-Stierle
„Tableaux de Berlin. Der französische Berlindiskurs seit der Romantik“
Dr. Marie Louise Brunner – Doktorvater: Prof. Dr. Stefan Diemer
„Understanding Intercultural Communication. Negotiating Meaning and Identities in English as a Lingua Franca Skype Conversations“
– Rechtswissenschaftliche Fakultät
Dr. Ben Gerrit Köhler – Doktorvater: Prof. Dr. Helmut Rüßmann
„Die Vorteils- und Gewinnherausgabe im CISG – Zugleich ein Beitrag zu Zulässigkeit und Grenzen der eigenständigen Weiterentwicklung des Übereinkommens“
Dr. Andreas Sesing – Doktorvater: Prof. Dr. Georg Borges
„Das Verbreitungsrecht des Urhebers bei der Übertragung digitaler Inhalte“
Der Dr.-Eduard-Martin-Preis für die besten Doktorarbeiten wird seit 1963 vergeben, seit 1976 trägt der Preis den Namen des Ehrensenators und langjährigen Präsidenten der Freunde-Vereinigung der Universität, Dr. Eduard Martin. Die Preisträger erhalten einen Geldpreis und eine bunte Eule: Sie wird gestiftet von Arno Müller, einem Absolventen der Saar-Uni.
www.unigesellschaft-saarland.de/eduard-martin-preis
Die Universitätsgesellschaft veranstaltet die Preisverleihung in Zusammenarbeit mit dem Graduiertenprogramm der Universität des Saarlandes (GradUS). Die Universitätsgesellschaft des Saarlandes will Wissenschaftler, Mitarbeiter sowie Studenten der Saar-Uni mit Ehemaligen (Alumni) und Förderern in intensiven Kontakt bringen. Sie unterstützt vor allem Studenten und den wissenschaftlichen Nachwuchs bei ihren Projekten und fördert das akademische Leben im Saarland. So unterstützt sie zum Beispiel junge Wissenschaftler bei der Teilnahme an internationalen Tagungen oder Wettbewerben. Mehr: www.unigesellschaft-saarland.de
Das Graduiertenprogramm GradUS will Promovierende der Saar-Uni untereinander vernetzen und bietet für ihre überfachliche Qualifizierung ein vielfältiges Weiterqualifizierungs- und Förderprogramm. Mehr: www.uni-saarland.de/gradus