Foto: Stephan Bonaventura

Der Ministerrat hat der neuen Gemeinschaftsschulverordnung (GemS-VO) zugestimmt. Damit geht das Saarland einen wichtigen Schritt in der Modernisierung und Weiterentwicklung seiner Bildungseinrichtungen. Ziel der Reform ist es, die Gemeinschaftsschulen als zukunftsfähige Schulform zu stärken und den Unterricht stärker an den Lebensrealitäten der Schüler auszurichten.

Neben der Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium ist die Weiterentwicklung der Gemeinschaftsschulen eines der wichtigsten bildungspolitischen Projekte der Landesregierung. Mit der Novellierung der Gemeinschaftsschulverordnung zum kommenden Schuljahr 2025/2026 werden den Gemeinschaftsschulen Strukturen und Instrumente an die Hand gegeben, mit denen sie sich modernisieren können. Das Ziel: die Gemeinschaftsschulen fit machen für die Zukunft.

Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot erklärt hierzu: „Mehr als die Hälfte junger Menschen wählen nach der Grundschule den Weg zur Gemeinschaftsschule. Die Nachfrage nach dieser Schulform ist auch nach der Entscheidung zu G9 an Gymnasien stabil. Mit den vorliegenden Veränderungen tragen wir den Bedürfnissen junger Menschen Rechnung, bilden ihre Lebenswirklichkeiten ab und stärken die pädagogischen Handlungsmöglichkeiten der Lehrkräfte im Sinne individueller Förderung.“

Die wesentlichen Neuerungen im Überblick

1. Stärkung der beruflichen Orientierung

An den Gemeinschaftsschulen können Schüler drei Abschlüsse erwerben. Neben dem Abitur auch den Hauptschul- und den Mittleren Bildungsabschluss. Mit einem frühen Einstieg und einem stärkeren Alltagsbezug fördern wir Schüler von Anfang in der in die berufliche Orientierung. Sie wird eingebettet in die Lehrpläne und auch als Teilprüfung Bestandteil des Prüfungsverfahrens im Hauptschulabschluss und Mittleren Bildungsabschluss. Schüler erhalten bereits ab Klasse 5 gezielte Einblicke in unterschiedliche Berufswelten. Ab Klasse 7 legen Schüler ein persönliches Portfolio an. Ab Klasse 8 wird die Berufsplanung weiter intensiviert, durch Firmenbesuche, Praktika und Projekte sind fest im Schulkonzept verankert. Zusätzlich wird ein Rahmen für freiwillige Praktika gelegt. Das zeigt: die gute Zusammenarbeit mit den Wirtschafts- und Arbeitnehmerverbänden, der Arbeitsmarktverwaltung und Initiativen wie zum Beispiel das „Berufswahlsiegel“ oder auch „ALWIS Saarland“ finden nachhaltig Einzug in die Schulgestaltung.

2. Förderung digitaler und informatischer Bildung:

Die digitale Transformation aktiv zu begleiten ist eine Kernaufgabe der Bildungspolitik. Junge Menschen sollen sich selbstbewusst und souverän in der digitalen Welt bewegen. Gleichzeitig brauchen sie das Wissen, Veränderungen, die durch KI und Algorithmen entstehen, zu erkennen und zu beeinflussen. Mit der neuen Gemeinschaftsschulverordnung ab Klassenstufe 7 bis Klassenstufe 10 wird das Fach Informatik mit insgesamt 6 Jahreswochenstunden in der Stundentafel verankert, um Schüler bestmöglich auf die digitale Welt vorzubereiten. Dazu hat das Ministerium für Bildung und Kultur in den vergangenen Jahren auch die entsprechenden Personalressourcen insbesondere an den Gemeinschaftsschulen aufgebaut. Insgesamt 95 Lehrkräfte an Gemeinschaftsschulen haben die Ausbildung zur Informatiklehrkraft durchlaufen. In den aktuellen Lehrgängen befinden sich derzeit weitere 57 Lehrkräfte.

3. Stärkung der Demokratiebildung

Schulen sind Orte der Demokratie. Das Wissen über die Funktionsweise unserer Demokratie gehört hierzu ebenso wie Kenntnisse über die Möglichkeiten der Mitgestaltung sowie gestärkte Medien- und Informationskompetenzen.

Die Stundenzahl im Fach Religion wurde in Klassenstufe 10 an die der Gymnasien angepasst. Die Fächergruppe der Gesellschaftswissenschaften (GW) wurde um eine Stunde gestärkt. Von dieser GemSVO soll das klare Signal ausgehen, Mitbestimmungsbedarfe junger Menschen an Schulen weiter zu stärken. Hier greifen die Themen der Demokratieförderung, des schulischen Mitbestimmungsgesetzes, ebenso wie Fächer wie Religion und Ethik ineinander. Es geht darum, im schulischen Kontext Wissen zu generieren, aber auch Erfahrung der Selbstwirksamkeit zu sammeln. Zur Unterstützung der Schulen wird es ein Kompendium geben, das Demokratiebildung in den verschiedenen Fächern sichtbar macht.

4. Förderung der Fremdsprachenkompetenz:

Die nachhaltige Förderung der Mehrsprachigkeit im gesamten Bildungssystem ist eines der prägendsten Merkmale saarländischer Bildungspolitik. Englisch und Französisch stehen dabei nicht in Konkurrenz zueinander. In Zukunft gibt es hier ein größeres Angebot an Schulplätzen mit Französisch als 1. Fremdsprache. Ab einer 5-Zügigkeit (5 Klassen pro Jahrgang) soll nun neu an allen Gemeinschaftsschulstandorten mit erster Fremdsprache Englisch zukünftig mindestens eine Französischklasse gebildet werden; bei 6-Zügigkeit (6 Klassen pro Jahrgang) mindestens 2 Französischklassen. Regionale Schulwechsel werden damit erleichtert.

Neben der ersten Fremdsprache wird in den Klassenstufen 5 und 6 die jeweils andere Fremdsprache zweistündig als grundständiges Fach unterrichtet und im Zeugnis als „Sprachbildender Unterricht / Fremdsprache (Englisch/Französisch)“ mit einer Note ausgewiesen.

5. Mehr Freiräume für individuelle Unterrichtsgestaltung und die Stärkung der Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben und Rechen:

In der vorgeschlagenen Stundentafel werden für jedes Fach die zu belegenden Gesamtstunden von Klassenstufe 5 bis 10 in Blöcken ausgewiesen. Eine Aufteilung der Stunden über die einzelnen Klassenstufen ist nicht mehr vorgesehen. Somit sollen die Schulen eine größere Flexibilität für die Rhythmisierung des Fachunterrichts über die einzelnen Jahrgänge hinweg erhalten. Damit können Schulen dort Schwerpunkte setzen, wo ihre Schüler gerade eine Vertiefung brauchen, z.B. beim Lesen, Schreiben oder Rechnen in den unteren Klassenstufen. Die vormals als Kontingentstunden ausgewiesenen Stunden sind jetzt fest in der Stundentafel vor allem den Fächern Deutsch und Mathematik zugewiesen.

Aber auch abseits des Fächerverbindenden Unterrichts werden mit der neuen Verordnung mehr Möglichkeiten zur individuellen Förderung geschaffen, so kann z.B. jetzt parallel zum Sprachbildenden Unterricht in den Klassenstufen 5 und 6 temporär vor allem im DaZ-Bereich bzw. in den Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben zusätzlich gefördert werden.

6. Profilbildung der Gemeinschaftsschulen zukünftig möglich

Die Rückmeldungen aus den Gemeinschaftsschulen sind eindeutig: Es besteht ein klarer Wunsch nach mehr Autonomie, Selbstständigkeit und Flexibilität, um der eigenen Schulen eine überzeugende pädagogische und schulkulturelle Identität mit einem klar erkennbaren Profil geben zu können. Um dies zu unterstützen, erhalten die Gemeinschaftsschulen künftig durch die Neugestaltung des Wahlpflichtbereichs (WPB) als Profilbereich mehr Handlungsspielraum. Diese Anpassung ermöglicht es den Schulen, in ihrer eigenen Schul- und Unterrichtsentwicklung passgenaue, attraktive und wohnortnahe Angebote für jedes Kind zu bieten. Aktuelle Beispiel für Profilfächer sind Fremdsprachen, Natur und Umwelt in Verknüpfung mit Bildung für nachhaltige Bildung bzw. mit FREI DAY, Kulturelle Bildung, Musik und Kunst oder Sportprofile.

7. Prüfungsordnung HSA und MBA

Im Rahmen der Novellierung werden auch die Prüfungen für den Hauptschulabschluss (HSA) und den Mittleren Bildungsabschluss (MBA) zeitgemäß angepasst. Die Prüfungsordnung für den HSA und den MBA wird jetzt stärker kompetenzorientiert und prozessorientiert gestaltet. Anstelle eines einmaligen Prüfungstermins am Ende der Schulzeit verteilen sich die Prüfungsbestandteile über das Schuljahr, sodass Schüler:innen ihre Kompetenzen in verschiedenen Formaten und Zeitabschnitten zeigen können. An dieser Stelle kommt der neue Leistungsbewertungserlass zum Tragen, der auf eine differenzierte Leistungsbewertung setzt, die individuelle Lernfortschritte stärker berücksichtigt und neue digitale Prüfungsformate integriert. Als qualitätssichernder Teil der Abschlussprüfung wird beim HSA eine von 4 Prüfungsteilen als landesweite Vergleichsarbeit in Deutsch und Mathematik, beim MBA zusätzlich in der 1. Fremdsprache durchgeführt.

Begleitende Maßnahmen und Fortbildung

Die Umsetzung der neuen Verordnung wird durch umfangreiche Informations- und Fortbildungsangebote begleitet. Ab dem 20. November 2024 starten am Bildungscampus sieben Regionalveranstaltungen, die den Schulen die Veränderungen näherbringen und sie auf die kommenden Aufgaben vorbereiten. Lehrkräfte können sich bereits im Februar 2025 über Fortbildungsangebote am Bildungscampus weiterqualifizieren.

Die Überarbeitung der Gemeinschaftsschulverordnung wurde durch einen breiten und transparenten Beteiligungsprozess begleitet. So wurde sie in einer Arbeitsgruppe mit Vertreter aus der AG Schullleiter Gemeinschaftsschulen und dem Vorsitzenden des Hauptpersonalrats der Gemeinschaftsschulen vorbereitet. Der Prozess und die Vorhaben wurden durch ein beratendes Beteiligungsforum mit Vertretern der Verbände, Gewerkschaften, Vereinigungen, der Landesschülervertretung, Interessensgruppen und Beteiligungsgremien seit dem Frühjahr 2023 begleitet.

Hintergrund:

· Die Saarländische Landesregierung hat seit 2022 wurden über 1.500 Fachkräfte an allen saarländischen Schulen eingestellt, darunter 1200 Lehrer und fast 200 Sprachförderlehrkräfte.
· Insgesamt sind seit 2022 an den Gemeinschaftsschulen 289 zusätzliche Lehrkräfte hinzugekommen.
· Im Startchancen-Programm profitieren 16 Gemeinschaftsschulen von insgesamt 55 Schulen in den kommenden 10 Jahren von zusätzlichen finanziellen Ressourcen für Infrastruktur, Schul- und Unterrichtsentwicklung, sowie den Ausbau multiprofessioneller Teams.
· Zuletzt hat der IFO Chancenmonitor den eingeschlagenen Weg des Zwei-Säulen-Modells im Saarland als zukunftsweisend bestätigt und dem zweigliedrigen Schulsystem im Saarland ein eigenes Kapitel in der Auswertung gewidmet. Demnach liegt das Saarland mit Blick auf die Chancen (sog. Chancendifferenz) auf Platz 3 im Vergleich aller Bundesländer.

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