Es ist wahrlich kein Ergebnis, das einfache Schlüsse zulässt. Ja, 75% der Homburger, die ihr Wahlrecht nutzten, stimmten am Sonntag für die Abwahl des suspendierten Oberbürgermeisters Rüdiger Schneidewind. Aber andererseits wurde das notwendige Quorum von 30% äußerst knapp nicht erreicht. So verwundert es kaum, dass aus den Stadtratsfraktionen durchaus unterschiedliche Einschätzungen des Ergebnisses zu vernehmen sind. Schneidewind selbst sieht weiterhin “Rückhalt in der Bevölkerung”.
Die Auszählung ging zwar in Rekordzeit vonstatten, dennoch war es einer der spannendsten Wahlabende der letzten Jahre im Homburger Rathaus. Bis zum letzten Wahllokal stand nicht einwandfrei fest, wie das Ergebnis ausfallen würde. Das lag jedoch nicht daran, dass die Mehrheiten nicht eindeutig gewesen wären. Vielmehr überragte der grüne Balken für die Abwahl den roten Balken gegen die Abwahl wie der Schlossberg die Homburger City.
Spannend war es vor allem deshalb, weil bis zur Auszählung des letzten Wahllokals nicht feststand, ob insgesamt 30% der Homburger für die Abwahl Schneidewinds gestimmt hatten. Das berühmte Quorum, das erfüllt werden muss, damit das Abwahlverfahren erfolgreich ist. Um kurz vor 19 Uhr war es dann aber klar: die nötige Stimmenzahl von 9707 wurde um gerade einmal 340 Stimmen verfehlt. Ein echter Krimi, der bei den Stadtratsfraktionen unterschiedliche Reaktionen auslöste.
“Für mich ist es ein ambivalenter Abend”, fasste CDU-Fraktionschef Michael Rippel die Gemütslage wohl vieler Unterstützer der Abwahl Schneidewinds zusammen. “Natürlich freue ich mich über die doch sehr deutliche Zustimmung. Aber es überwiegt dann doch die Enttäuschung, dass es so knapp nicht gereicht hat.” Das Ergebnis gelte es nun zu akzeptieren. Aber auch Schneidewind und die SPD müssten das “deutliche” Votum annehmen. “Insofern sehen wir schon eine moralische Verantwortung die Konsequenzen zu ziehen und den Weg für einen Neuanfang freizumachen.”
Ganz ähnlich äußerte sich der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stadtrat, Prof. Marc Piazolo, der das Geschehen ebenso wie Rippel vor Ort verfolgte. Es sei ein “gutes Ergebnis”, dass auch repräsentativ sei. “Mit der Eindeutigkeit des Ergebnisses kann Schneidewind fast nicht mehr im Amt bleiben, obwohl er rechtlich die Möglichkeit dazu hat.”
Auch der Fraktionsvorsitzende der AfD-Fraktion, Markus Loew, sieht den Ball nun im Feld des suspendierten Oberbürgermeisters. “Ich bin der Meinung, dass Herr Schneidewind aus diesem eindeutigen Votum seine Konsequenzen ziehen und diese unwürdige Hängepartie nun endlich beenden sollte.” In nicht einem einzigen Wahlbezirk habe es eine Mehrheit für den Verbleib Schneidewinds im Amt gegeben. “Diejenigen Bürger, die sich an der Wahl beteiligt haben, haben eine eindeutige Sprache gesprochen.”
Zu den Fraktionen, die Schneidewind angesichts des Ergebnisses den Rücktritt nahelegen, gehört auch die Freie Wählergemeinschaft. Deren Fraktionsvorsitzender Thorsten Bruch spricht von einer “klaren Mehrheit der politisch interessierten Bürger pro Abwahl.” Vor diesem Hintergrund werde sich eine mögliche Rückkehr ins Amt noch schwieriger gestalten als ohnehin schon. “Ob es nun zeitnah zu Neuwahlen kommen kann oder nicht, liegt in der Hand von Rüdiger Schneidewind.” Die Linkspartei nahm auf Anfrage keine Stellung zum Ergebnis des Abwahlverfahrens.
Schneidewind selbst verbrachte den Abend im kleinen Rahmen im Kreise der Familie und mit engen Freunden. Natürlich wurde auch die Auszählung verfolgt. “Es war nicht zwingend ein Zittern bis zum Schluss. Nach 24, 25 Wahllokalen war statistisch klar, dass das Quorum nicht erreicht wird.” Das Ergebnis habe Schneidewind auch nicht überrascht. “Durch die hohe Beteiligung an der Briefwahl war klar, dass eine große Menge gegen mich stimmen wird.”
Der suspendierte Oberbürgermeister versichert, er spüre weiterhin durchaus Rückhalt in der Bevölkerung. “Aus meiner Sicht ist die Abwahl gescheitert, das Quorum wurde nicht erreicht. Daher gibt es auch keinen Grund für einen Rücktritt.” Aus seiner Sicht sei die niedrige Wahlbeteiligung auch ein Hinweis, dass viele Menschen nicht zur Wahl gingen und damit die Abwahl auch nicht unterstützten.
Sein Parteikollege und Vorsitzende der SPD-Stadtratsfraktion, Wilfried Bohn, zeigte sich erleichtert, dass “die in Wort und Bild geäußerte üble Nachrede und Verleumdung in ihre Grenzen verwiesen wurden.” Die Kommunalaufsicht werde zur Kenntnis nehmen, dass das Abwahlverfahren gescheitert ist. “Wir werden das Ergebnis in den nächsten Tagen in aller Ruhe analysieren.”
Jörg Kühn, Fraktionsvorsitzender der FDP, betont auf HOMBURG1-Anfrage, dass er immer gegen eine Abwahl gewesen sei und damit konträr zur Meinung der FDP Homburg stehe. In seiner persönlichen Stellungnahme gibt er an, dass die 75% Zustimmung für die Abwahl nicht “allzu aussagekräftig” sei. “Der Mobilisierungsgrad der Personen, die für die Abwahl stimmten, war sicherlich ungleichgrößer als der Mobilisierungsgrad bei den Personen, die keine Abwahl wollten.” Diese hätten ihre Meinung zum Ausdruck gebracht, in dem sie der Wahl fern geblieben seien. “Das notwendige Quorum wurde nicht erfüllt. Das ist ein Fakt.”
Ein Fakt, der in den kommenden Wochen weiter für Unruhe in der Stadtpolitik sorgen dürfte, wie bereits die Äußerungen der Fraktionen nahelegen. Nachdem das offizielle Endergebnis morgen im Stadtrat verkündet wird, steht wohl erst einmal wieder Warten an, sollte nichts Überraschendes passieren. Warten auf die Gerichte, die sich schon seit vielen Jahren um die Causa Schneidewind kümmern. Die nächste diesbezügliche Verhandlung soll am 2. März kommenden Jahres am Bundesgerichtshof in Leipzig stattfinden. Erst wenn die juristische Aufarbeitung der “Detektiv-Affäre” abgeschlossen ist, wird sich die Disziplinaraufsicht wieder mit Rüdiger Schneidewind befassen. Solange bleibt er weiterhin ein suspendierter Oberbürgermeister.
Edit – 29.11.21 – 15:13 Uhr
Barbara Spaniol, DIE LINKE, hat nun auch eine Stellungsnahme abgegeben:
„75,02 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben mit 9366 Stimmen die Abwahl des Oberbürgermeisters befürwortet. Das sind deutlich mehr Stimmen als bei seiner Wahl im Jahre 2014. Das entsprechende Quorum wurde um nur 341 Stimmen knapp verfehlt – und das obwohl diese Hürden so hoch sind. In allen Wahlbezirken gab es eine Mehrheit für die Abwahl des OB. Das ist schon eine kleine Sensation mit Blick auf den Wählerwillen und dieses eindeutige Votum kann nicht missachtet werden.” DIE LINKE im Stadtrat und in Homburg fordern vor diesem Hintergrund dazu auf, die Hängepartie um das hohe Amt an der Stadtspitze endgültig zu beenden. „Fast die gesamte Amtszeit des OB ist überschattet von der Detektiv-Affäre, von Vorwürfen und Verfahren sowie Verwaltungsversagen. Dabei ist Homburg eine große Stadt, ist zweitgrößter Wirtschaftsstandort im Saarland und braucht eine handlungsfähige Stadtspitze. Die sehen wir mit einem fast abgewählten, suspendierten OB nicht mehr gegeben. Das Ansehen unserer Stadt ist schon lange beschädigt und diese Zustände müssen überwunden werden. Das Vertrauen ist längst zerstört und wir brauchen eine Zukunftsperspektive für unser Homburg,“ so Barbara Spaniol abschließend.