Plastikmüll gilt als eines der größten Umweltprobleme unserer Zeit. Ein Team des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) hat Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland zu ihrer Nutzung von Kunststoffverpackungen befragt. Das Fazit: Damit die Müllberge kleiner werden, braucht es neue Infrastrukturen, veränderte Lebensstile – kurz: einen umfassenden Kulturwandel.
96 Prozent der deutschen Bevölkerung halten es für wichtig, Verpackungsabfälle zu reduzieren. Dennoch steigt der private Endverbrauch von Verpackungen seit 2009 kontinuierlich an. 2018 lag der Konsum von Kunststoffverpackungen in Deutschland bei 3,2 Millionen Tonnen und hatte sich somit seit 1997 mehr als verdoppelt. Mit 228 Kilogramm pro Kopf lag der Verpackungsverbrauch in Deutschland deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 174 Kilo pro Kopf.
„Recycling behandelt nur die Symptome der Plastikkrise und geht nicht gegen die eigentliche Ursache vor, die Abfallerzeugung selbst. Wir wollten daher herausfinden, was Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland daran hindert, ihren alltäglichen Konsum von Kunststoffverpackungen für Lebensmittel und Getränke zu reduzieren. Für unser Forschungsvorhaben haben insgesamt 40 Teilnehmende in vier Fokusgruppen diskutiert“, erläutert Jasmin Wiefek, Leitautorin der Studie. Bei ihrer Analyse der Diskussionen identifizierten die Forscherinnen zwölf Barrieren, die einem reduzierten Verbrauch von Plastikverpackungen im Wege stehen:
1. Gewohnheiten: Die Diskussionsteilnehmenden gehen vor allem in Supermärkten und Discountern einkaufen statt auf Märkten und in Unverpackt-Läden. In der Diskussion wurde deutlich, dass die Teilnehmenden in der Regel ohne eigene Taschen und Behälter zum Lebensmitteleinkauf gehen. Verarbeitete und verpackte Lebensmittel sind beliebt.
2. Mangel an Wissen: Die Forscherinnen beobachteten Unsicherheiten bei den Teilnehmenden hinsichtlich der Frage, welche Verpackungsoptionen nachhaltiger sind als andere.
3. Hygiene: Die Diskussionsrunden offenbarten Vorbehalte bezüglich der hygienischen Eigenschaften von frei zugänglichen Auslagen unverpackter Waren, der Verwendung von selbst mitgebrachten Verpackungen und langfristig wiederverwendbaren Verpackungsoptionen im Allgemeinen.
4. Materialeigenschaften: Oftmals werden Kunststoffverpackungen bevorzugt, weil sie leicht, bruchsicher und reißfest sind.
5. Prioritäten: Mehrere Teilnehmende beschrieben, dass sie im Alltag Prioritäten setzen, die der Reduzierung von Plastikverpackungen zuwiderlaufen. Als Beispiel wurde genannt, dass Eltern keine schweren Rucksäcke für ihre Kinder packen wollen und deshalb Plastikflaschen statt Glasflaschen verwenden.
6. Preis: In Kunststoff verpackte Lebensmittel sind im Allgemeinen billiger als plastikfrei verpackte Lebensmittel.
7. Verfügbarkeit: Standardmäßig ist der Großteil der in Supermärkten und Discountern angebotenen Lebensmittel nur in Plastikverpackungen erhältlich. So hatten die Diskussionsteilnehmer das Gefühl, keine Wahl zu haben.
8. Zuweisung von Verantwortung: Hinsichtlich der Verantwortungszuweisung für die Lösung des „Plastikproblems“ sahen die Teilnehmenden sowohl jeden Einzelnen als auch die Industrie in der Pflicht: Weil die Industrie dafür verantwortlich ist, dass so viele Produkte in Plastik verpackt sind, müsse sie Lösungen anbieten. Andererseits sollten die Verbraucherinnen und Verbraucher bewusster einkaufen und Produkte in Plastikverpackungen vermeiden.
9. Erreichbarkeit und Infrastruktur: Die Teilnehmenden merkten an, dass Orte wie verpackungsfreie Läden oder Wochenmärkte schwer zu erreichen seien und der Weg dorthin mehr Zeit und Mühe erfordere als der Besuch von Supermärkten oder Discountern.
10. Zeit und Zeitstrukturen: Zeit ist eine weitere entscheidende Barriere für plastikfreies Einkaufen. Aufgrund der langen Anfahrtswege würde der Gang zu plastikfreien Geschäften und Märkten für die meisten Menschen mehr Zeit in Anspruch nehmen. Das Einkaufen selbst würde auch länger dauern, wenn die Kunden die Lebensmittel in ihre eigenen Behälter abfüllen, und die Behälter müssten anschließend gereinigt werden. Zudem nimmt die Zubereitung unverarbeiteter Lebensmittel mehr Zeit in Anspruch.
11. Bequemlichkeit: Die Teilnehmenden berichteten, dass es für sie unpraktisch sei, ihre eigenen Behälter zum Einkaufen mitzubringen. Sie müssten dann die Behälter entweder mit zur Arbeit nehmen oder längere Wege in Kauf nehmen.
12. Konsumkultur: Die Teilnehmenden bekundeten, beim Einkaufen keinen großen Wert auf den Aspekt einer „großen Produktauswahl“ zu legen. Viele betonten jedoch, dass es wichtig sei, gewünschte Produkte im Geschäft zu finden. Indirekt forderten sie damit also doch eine breite Produktpalette, welche für den Handel mit einem Unverpackt-Konzept schwer umsetzbar ist. Zudem wurde in der Auswertung der Fokusgruppen deutlich, dass unsere Kultur des Spontan- und To-go-Konsums die Verpackungsreduktion erschwert. Vielen Diskussionsteilnehmenden war zudem nicht bewusst, dass nicht-regionale und nicht-saisonale Lebensmittel, die ganz selbstverständlich jeden Tag gegessen werden, auf eine Verpackung für den weiten Transport angewiesen sind.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass derzeit viel Aufwand und Wissen erforderlich ist, um Plastikverpackungen zu vermeiden. Damit Waren ohne Einweg-Kunststoff-Verpackungen und möglichst unverpackt die günstigste und bequemste Option sind, müssen wir Infrastrukturen, wirtschaftliche Anreize und politische Rahmenbedingungen ändern“, sagt Projektleiterin und Ko-Autorin Katharina Beyerl. Das Ziel, den Verbrauch von Plastikverpackungen zu reduzieren, werde nicht dadurch erreicht, dass die Verbraucher und Verbraucherinnen aufgefordert werden, ausschließlich in Zero-Waste-Läden einzukaufen. Es erfordere grundlegende gesellschaftliche Struktur- und Lebensstiländerungen sowie einen Kulturwandel.
Originalpublikation: Wiefek, J., Steinhorst, J., Beyerl, K. (2021 online): Personal and structural factors that influence individual plastic packaging consumption—Results from focus group discussions with German consumers. – Cleaner and responsible consumption, 3, 100022. https://doi.org/10.1016/j.clrc.2021.100022