Bild: Andreas Lischka

Mit Blick auf die aktuelle Bundestagswahl am 26. September 2021 vergeht kein Tag ohne neue Prognose zum Wahlausgang. Diese basieren in den meisten Fällen auf Umfragen, die sehr gut den Ist-Zustand abbilden. Das liegt daran, dass Umfragen die politische Einstellung und den Willen der befragten Wählerin oder des gefragten Wählers zu einen Zeitpunkt X unter Berücksichtigung des aktuellen Geschehens dokumentieren. Daher stellt sich die Frage, wie belastbar Umfragen als Prognose-Instrumente sind.

Im Interview ordnet Jun.-Prof. Arndt Leininger, Inhaber der Juniorprofessur Politikwissenschaftliche Forschungsmethoden an der Technischen Universität Chemnitz und Experte für Wählerinnen- und Wählerbefragungen, die Leistungsfähigkeit von Umfragen als Prognose-Instrument ein und spricht über den von ihm sowie Kolleginnen und Kollegen am 10. September 2021 im Fachjournal “PS: Political Science & Politics” veröffentlichten Ansatz, der die Genauigkeit von Prognosen verbessern soll.

Herr Leininger, kein Tag vergeht ohne neue Umfragen zur Bundestagswahl. Dabei sind diese – das haben wir in der jüngeren Vergangenheit zum Beispiel bei der US-Wahl oder auch bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt gesehen – oft sehr ungenau. Wie kommt diese Ungenauigkeit zustande?

Jun.-Prof. Arndt Leininger: Die sogenannte Sonntagsfrage fragt nach einer hypothetischen Wahl am nächsten Sonntag. Viele Menschen haben sich aber zum Zeitpunkt der Befragung noch nicht entschieden oder werden sich bis zur Wahl noch umentscheiden. Zudem sind Umfragen häufig von aktuellen Ereignissen und Bedingungen beeinflusst, die sich vor dem Wahltag noch ändern können.

Gibt es Alternativen zur Sonntagsfrage beziehungsweise zu Umfragen allgemein?

Jun.-Prof. Arndt Leininger: Es gibt noch andere Ansätze, um Wahlergebnisse vorherzusagen. Dazu gehören statistische Modelle, die Wahlergebnisse anhand von wirtschaftlichen und politischen Aggregatdaten, also zusammengefassten Daten zu Einzel-Aspekten wie zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt, modellieren. Ein solches Modell ist auch das sogenannte Ländermodell, das ich gemeinsam mit Professor Mark Kayser von der Hertie School und Anastasiia Vlasenko von der Florida State University entwickelt habe. Grundsätzlich ist zudem zu sagen, dass Prognosemodelle besser geeignet sind als Umfragen, um nach der Wahl einzuschätzen, welche Parteien ihr elektorales Potential ausgeschöpft oder sogar überschritten haben und welche Parteien hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind.

Sie haben das angesprochene Modell ganz aktuell am 10. September 2021 veröffentlicht.

Jun.-Prof. Arndt Leininger: Ja, der Beitrag mit dem Titel „A Länder-Based Forecast of the 2021 German Bundestag Election“ ist im Peer-Review-Verfahren neben weiteren Modellen von Politikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern aus dem In- und Ausland im Fachjournal „PS: Political Science & Politics“ erschienen.

Ist dieses Ländermodell genauer als beispielsweise die eben genannten Umfragen?

Jun.-Prof. Arndt Leininger: Ob das Modell wirklich genauer ist, werden wir erst am Wahltag sehen. Mit unserem Modell stützen wir uns auf grundlegende Faktoren, darunter das schon angesprochene Bruttoinlandsprodukt in Verbindung mit der Amtszeit der Regierungschefin oder des Regierungschefs. Denn wir wissen aus der Forschung, dass es einen Zusammenhang mit Blick auf den Stimmenzuwachs einer Partei gibt, wenn diese die Regierung auf nationaler Ebene anführt und die Wirtschaft wächst. Das ist also zum Beispiel ein viel besserer da beständigerer Indikator für eine Prognose. Hinzu kommt, dass wir die Stimmenanteile bei der Bundestagswahl in den 16 deutschen Bundesländern seit 1961 berücksichtigt haben. Ebenfalls sind Informationen über die Anzahl der Wahlberechtigten und Schätzungen der Wahlbeteiligung auf Ebene der Bundesländer in das Modell eingeflossen.

Sie haben also auf eine sehr umfangreiche Datenbasis aufgebaut und diese mit verlässlichen Faktoren in Beziehung gesetzt, die Einfluss auf Wahlentscheidungen haben. Trotzdem ist es sicher auch entscheidend, wie viele Menschen letztlich zur Wahl gehen, oder?

Jun.-Prof. Arndt Leininger: Das ist in der Tat eine große Herausforderung, denn jede Umfrage muss berücksichtigen, wie viele Befragte letztlich auch tatsächlich wählen. Um dieser Herausforderung zu begegnen, haben wir für unser Modell Daten aus vorangegangenen Wahlen auf Länderebene berücksichtigt, die auf dem tatsächlichen Wahlverhalten basieren. Anhand offizieller Informationen über die Zahl der Wahlberechtigten und der prognostizierten Wahlbeteiligung kann man dann Stimmensummen für jede Partei in jedem Bundesland berechnen und auf die Parteien auf Bundesebene übertragen.

Vielen Dank für diesen Einblick in die aktuelle Forschung.

Originalpublikation: Kayser, M., Leininger, A., & Vlasenko, A. (2021). A Länder-Based Forecast of the 2021 German Bundestag Election. PS: Political Science & Politics, 1-6. DOI: 10.1017/S1049096521000974.

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