Corona, Klimawandel, Krieg in der Ukraine und steigende Inflation in Deutschland – auch Jugendliche hierzulande müssen gerade mit vielen schwierigen Krisenthemen klarkommen. Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Nina Kolleck von der Universität Leipzig forscht zu dieser Thematik. Kürzlich hat sie eine Studie zum politischen Umgang Jugendlicher mit dem Ukraine-Krieg beendet, die demnächst publiziert wird. Im Interview erklärt sie, wie die junge Generation gerade mit dieser geballten Krisenflut klarkommt und welches Thema Jugendliche derzeit am meisten beschäftigt.
Frau Prof. Kolleck, wie fühlen sich Jugendliche angesichts der zahlreichen Krisen, die wir alle gerade durchleben?
Prof. Dr. Nina Kolleck: Die Gegenwart der Jugend ist geprägt von Krisen und Katastrophen. Das schlägt sich auch in dem Lebensgefühl der jungen Menschen nieder. In unserer repräsentativen Befragung zeigt sich, dass sich Jugendliche mit dem Krieg in der Ukraine auseinandersetzen und teils eine klare Meinung dazu haben, wie mit der politischen Situation umgegangen werden soll. Der Großteil der Jugendlichen befürwortet moderate Maßnahmen, die zwar die Ukraine unterstützen sollen, aber auch deutsche, nationale Interessen mitberücksichtigen. Diese jungen Menschen in Deutschland zeigen eigene Sorgen in Bezug auf den Krieg. Einige Jugendliche gehen jedoch weiter und flüchten sich in Verschwörungserzählungen (insgesamt etwa 15 Prozent). Dies trifft vor allem zu auf junge AfD-Wähler mit einem Anteil von 40 Prozent, Jugendliche, die sich als sozial ausgeschlossen betrachten und Personen mit niedrigem Bildungsabschluss.
Welches Krisenthema beschäftigt Jugendliche derzeit am meisten und warum?
Prof. Dr. Nina Kolleck: Der Ukraine-Krieg dominiert die derzeitigen Sorgen der Jugendlichen. Ängste in Bezug auf die Folgen von Corona, die Klimakrise oder auch die Inflation sind aber weiterhin auf hohem Niveau. Bereits in der Trendstudie “Jugend in Deutschland” von Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann aus diesem Frühjahr hat sich gezeigt, dass der Ukraine-Krieg die Corona-Pandemie als Hauptsorge abgelöst hat. Unsere Studie zeigt, dass dieser Trend bis heute anhält. Die Jugendlichen zeigen in der Befragung ein hohes Maß an Unsicherheit, was sich auf die Beurteilung der Ursachen sowie den „richtigen“ Umgang mit dem Krieg auswirkt. Maßnahmen, die Jugendliche potenziell selbst betreffen – wie die Wiedereinführung der Wehrpflicht – lehnen sie tendenziell ab (51 Prozent).
Welche Strategien entwickeln junge Menschen zur Krisenbewältigung? Unterscheiden sie sich von denen der Erwachsenen?
Prof. Dr. Nina Kolleck: In Bezug auf den Angriffskrieg in der Ukraine haben Jugendliche in Deutschland unterschiedliche Strategien der Krisenbewältigung. Einerseits zeigen sie sich solidarisch und möchten, dass die Ukraine mit moderaten Maßnahmen unterstützt wird. Andererseits lehnen sie strikte Maßnahmen gegen Russland und russische Bürger ab. Bei einigen ist außerdem ein gewisser Patriotismus erkennbar, der sich in einer verstärkten Wahrung der nationalen Interessen zeigt. Die breite Mehrheit der jungen Menschen identifiziert sich allerdings stark mit der EU: Die Jugendlichen sehen eine große Notwendigkeit eines kollektiven Auftretens Europas, um antidemokratischen Tendenzen entgegentreten zu können.
Können wir von den Jugendlichen diesbezüglich noch etwas lernen?
Prof. Dr. Nina Kolleck: Die Krisen, Kriege und Katastrophen in der Gegenwart prägen die Zukunftsvorstellungen von Jugendlichen. Unsere Studie zeigt, dass sich die meisten jungen Menschen differenziert mit ihrer Zukunft auseinandersetzen und unterschiedliche Perspektiven mit einbeziehen. Trotz der großen Unsicherheiten, mit denen die jungen Menschen konfrontiert werden, bewahren die meisten ein klares Bild darüber, dass es verschiedene Interessen und Perspektiven gibt, die bei der Erarbeitung von Lösungen mit berücksichtigt werden müssen.
Hintergrund zur Studie: Die Studie “Einstellung Jugendlicher zum Krieg in der Ukraine” wurde im Rahmen des Metavorhabens zur Förderrichtlinie “Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen” des Bundesministeriums für Bildung und Forschung finanziert. Für die Studie wurden zwischen dem 24. Juni und dem 26. Juli dieses Jahres 3.240 junge Menschen im Alter von 16 bis 29 Jahren zu ihren Einstellungen zum Ukraine-Krieg befragt. Die Daten wurden im Rahmen einer Online-Befragung und auf Basis eines Open-Access-Panels erhoben und sind quotenrepräsentativ nach Bundesland und Geschlecht.