35 Jahre nach Weizsäckers Rede sind heute eine Reihe von Themen und Entwicklungen bedeutsam, die besonderer Verantwortung bedürfen. Nur zwei Aspekte seien genannt:
- Dass in den letzten Jahren rechte Gruppierungen, Ideologen und Ideologien zunehmend Zulauf bekamen und bekommen, dass unkaschierter Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Hass so zunehmen konnten, dokumentiert, dass die von Weizsäcker geforderte Verantwortung in vielen Köpfen nicht angekommen scheint und keine Lehren aus der Vergangenheit gezogen wurden.
- Dass die Freiheit der Presse nicht mehr als Selbstverständlichkeit angesehen wird, ist nicht zuletzt der Vielfalt individuell nutzbarer neuer, vor allem technischer Medien geschuldet. Auch bei deren Gebrauch ist besondere Verantwortung gefordert. Die gezielte Verbreitung von Lügen („Fake News“) steht beispielhaft dafür, dass hier verantwortungslose Akteure systematisch am Werk sind.
Philipp Jakob Siebenpfeiffer forderte – in der Sprache der damaligen Zeit – stets Wachsamkeit zu üben und das „Gewissen“ stets zu überprüfen und zu schärfen. Willi Graf, Mitglied der Widerstandsorganisation „Weiße Rose“, hat aus anderem zeitlichen Blickwinkel und zeitgenössischem Kontext ähnlich postuliert: „Jeder Einzelne trägt die ganze Verantwortung. “
Die Gedanken von Weizsäckers gehen in die gleiche Richtung und entlassen keinen aus der Verantwortung. Dr. Gallo, Vorsitzender auch der DPG Saar, dazu: „Wenn es heute Menschen gibt, die aus ihrer Sicht dem 8. Mai 1945 die Bedeutung als Tag der Befreiung absprechen wollen oder ihn relativieren wollen mit der Aussage, es sei auch ein Tag der absoluten Niederlage gewesen, so sei denen ein Aspekt in Erinnerung gebracht: Die angebliche Niederlage war schlicht Folge dessen, was Nazi-Deutschland am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen völlig grundlos losgetreten hat. Die Dimension dessen ist in der Tat schwer zu verstehen, ganz sicher aber nicht wegzudiskutieren. Insgesamt ist die Rede von 60 bis 80 Millionen Toten weltweit. Allein in Polen sind diesem Wahnsinn etwa 17,2 % (!) der Bevölkerung, 6 Millionen Menschen, zum Opfer gefallen.“
Dr. Gallo weiter: „Diese Zahlen sind so unfassbar. Es waren aber alles Einzelschicksale. Jeder, der Zweifel hat an der Verantwortung von uns allen, sollte das Museum der Familie Ulma in Markowa im Powiat Łańcut, neben dem Powiat Przemysl der zukünftige, zweite Partnerkreis des Saarpfalz-Kreises, besuchen“. Am 8. Mai 2020 hätte im Rahmen einer gesonderten Sitzung des Kreistages, diese Partnerschaft offiziell bestätigt werden sollen. Sitzung und Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunde mussten coronabedingt leider abgesagt werden.
Diese Verantwortung, an die uns Richard von Weizsäcker mahnt, ist die Basis der Partnerschaftsarbeit, der sich der Saarpfalz-Kreis, der sich die Deutsch-Polnische Gesellschaft Saar, der sich die Siebenpfeiffer-Stiftung verschrieben haben. Das möchte Dr. Gallo auch im Rahmen der Reihe „Landrat macht Schule“ vermitteln. DPG-Vorsitzender Dr. Gallo: „Damit kommen wir der Verantwortung nach, die jeder von uns hat, so wie es der ermordete Widerstandskämpfer Willi Graf, ein Zeitgenosse Richard von Weizsäckers, an seine Schwester geschrieben hatte. Noch einmal: Jeder Einzelne trägt die ganze Verantwortung. Diese Verantwortung und das historische Wissen um das, was wir leider nicht mehr ungeschehen machen können, ist die Grundlage, gemeinsam für unsere Partnerschaften, auch und gerade mit Polen, zu werben und dafür zu arbeiten. Für Frieden, für Europa und für unsere Kinder und Kindeskinder. So wollte es Richard von Weizsäcker!“.