Nachdem die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland in den vergangenen fünfzehn Jahren deutlich gesunken ist, könnte sie jetzt um bis zu 40 Prozent ansteigen. Zwar sind davon, relativ gesehen, Hochschulabsolventen und beruflich Qualifizierte stärker betroffen, allerdings sind die Zukunftsaussichten für geringqualifizierte junge Menschen besonders ungünstig. Männer sind dabei durchgängig stärker betroffen als Frauen. Die Analysen zeigen zudem, wie sehr die Jugendarbeitslosigkeit durch wenig wirksame Bildungsangebote kaschiert wird. Dies sind die Kernergebnisse einer aktuellen Analyse des FiBS zur Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland in Krisenzeiten.
Betrachtet man die vergangenen fünfzehn Jahre, dann zeigt sich ein deutlicher Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit, bezogen auf die 15- bis 24-jährigen jungen Menschen, in Deutschland von 15,5 (2005) auf unter 6 Prozent im vergangenen Jahr. Dieser Trend gilt für alle Gruppen von den Un- oder Geringqualifizierten bis hin zu den beruflich und Hochqualifizierten. Allerdings ist das Niveau an Arbeitslosigkeit bei den Geringqualifizierten mit fast 9 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei den beruflich Qualifizierten und Akademiker/Innen (3,9 bzw. 3,1 Prozent).
Gleichzeitig ist die Arbeitslosenquote der jungen Frauen in allen Qualifikationsgruppen niedriger als die der jungen Männer; besonders groß ist der Abstand bei den Geringqualifizierten (2019 – Frauen: 7,6 Prozent, Männer: 9,7 Prozent). Das tendenziell höhere Qualifikationsniveau der jungen Frauen spielt bei dieser Betrachtung keine Rolle, allerdings beeinflusst es die durchschnittliche Arbeitslosigkeitsrate der Frauen, deren durchschnittliche Arbeitslosenquote mit 4,8 Prozent um ein Drittel niedriger ist als das der jungen Männer (6,6 Prozent).
Besonders auffallend ist, dass die Jugendarbeitslosigkeit in der Wirtschafts- und Finanzkrise, aber vereinzelt auch anschließend, lediglich bei den jungen Männern (von 11,0 auf 12,5 Prozent) und nicht bei den jungen Frauen angestiegen ist (Rückgang von 10,0 auf 9,8 Prozent). Auch diese Entwicklung zeigt sich übergreifend für alle Qualifikationsgruppen, ist jedoch bei den beruflich und akademisch Qualifizierten besonders ausgeprägt (relativer Anstieg um 24 bzw. 42 Prozent). Das Vorkrisenniveau wurde übergreifend seinerzeit innerhalb von weniger als zwei Jahren wieder erreicht.
Ausgehend von unserer Analyse der Auswirkungen der vorhergehenden Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 ist mit einem Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit auf 6,9% zu rechnen; gegenüber 2019 ist dies ein Anstieg um 18 Prozent. Dabei gibt es jedoch erhebliche Unterschiede in Abhängigkeit von Geschlecht und Qualifikationsniveau: Überdurchschnittlich betroffen wären dann qualifikationsübergreifend vor allem junge Männer (8,3 vs. 5,6 Prozent bei den jungen Frauen), wobei, relativ gesehen, diejenigen mit abgeschlossener Berufsausbildung besonders stark betroffen wären. Bei jungen Menschen mit einer beruflichen Qualifikation zeigen sich Anstiege von 4,3 auf 6,0 Prozent (+38 Prozent) bei den Männern bzw. 3,4 auf 4,0 Prozent (+17 Prozent) bei den Frauen. Bei den Hochschulabsolventen ist mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit auf knapp 4 Prozent zu rechnen.
Trotz allem ist die Arbeitslosenquote von Geringqualifizierten mit 9,1 Prozent bei den jungen Frauen bzw. 11,3 Prozent bei jungen Männern doppelt bis dreimal so hoch. Dabei ist zu berücksichtigen, dass selbst in normalen Zeiten über 250.000 junge Menschen pro Jahr ins sogenannte Übergangssystem einmünden, da sie keinen Ausbildungsplatz gefunden haben oder als nicht ausbildungsfähig betrachtet werden. Würde man diese Jugendliche in einer weiteren Sinne als (ansonsten) arbeitslos ansehen, läge die allgemeine Jugendarbeitsquote mit 13 Prozent mehr als doppelt so hoch wie der offizielle Wert und die Quote der geringqualifizierten Jugendlichen sogar bei fast 26 Prozent. Das ist fast das Dreifache der offiziellen Wertes.
Betrachtet man mögliche Ursachen für den starken Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit, dann wird deutlich, dass hierfür weder das duale System noch die ansonsten günstige Beschäftigungsentwicklung herangezogen werden können. Das ist insbesondere bei den 15- bis 24-Jährigen. Vielmehr sind die Übergangschancen in die duale Ausbildung sowohl für Jugendliche mit und ohne Hauptschulabschluss als auch für Realschulabsolventen geringer als noch vor Jahren. Demgegenüber zeigt sich eine höhere Übergangsquote in Ausbildung ausschließlich bei den Studienberechtigten. Zudem ist die Zahl der Ausbildungsplätze mittlerweile um rund 100.000 geringer als vor der Wirtschafts- und Finanzkrise; und es steht zu befürchten, dass die Zahl der Ausbildungsplätze in den kommenden Jahren weiter sinken wird. Im Gegenteil ist zu beobachten, dass Jugendliche mit und ohne Hauptschulabschluss deutlich häufiger als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren in das sogenannte Übergangssystem einmünden; lediglich bei den Realschulabsolventen ist die Quote gesunken. Zwar kann das Übergangssystem zum Teil zur Verbesserung der Schulabschlüsse genutzt werden, vor allem aber ist es ein Auffangbecken für junge Menschen, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben.
„Wer sich die Hintergründe der positiven Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit der vergangenen 15 Jahre genauer ansieht, muss leider feststellen, dass das duale System, entgegen allen Mythen, für den Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit ebenso wenig verantwortlich ist wie die positive Beschäftigungsentwicklung,“ stellt Dr. Dieter Dohmen, Studienautor und Direktor des FiBS fest. „Zwar sind junge Menschen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung deutlich seltener arbeitslos, allerdings ist und bleibt der Zugang zur qualifizierten Ausbildung das Nadelöhr für junge Menschen. Im Wettbewerb um knappe Ausbildungsplätze haben vor allem Jugendliche mit Abitur einen Vorteil, während diejenigen mit Haupt- oder Realschulabschluss immer weniger zum Zuge kommen,“ ergänzt Dohmen. „Vielmehr ist die Zahl der Ausbildungsplätze deutlich geringer als noch 2008. Sollte sich dieser Trend infolge der Corona-Krise fortsetzen, dann ist mit einem sich weiter verschärfenden Wettbewerb um knapper werden Ausbildungsplätze zu rechnen.“
Dies gilt trotz der eigentlich für junge Menschen günstigen demografischen Entwicklung oder der sinkenden Zahl an Schulabgängern. „Entweder sind die Anforderungen der Ausbildungsbetriebe so sehr gestiegen, dass Haupt- oder Realschulabschluss zunehmend weniger als ausreichend gelten oder aber der Schulabschluss sagt immer weniger über die Kompetenzen der Jugendlichen aus,“ meint Dohmen. „Wenn das richtig ist, dann würde das umgekehrt bedeuten, dass große Teile der Jugendlichen mit Haupt- oder selbst Realschulabschluss so inkompetent wären, dass sie für eine berufliche Ausbildung nicht in Betracht kommen.“ Erstaunlich findet er dabei, dass rund 200.000 ausbildungsinteressierte junge Menschen in der Ausbildungsstatistik nur am Rande auftauchen und dadurch der Eindruck erweckt wird, es gäbe nur eine geringe Nachfrage nach Ausbildung oder eine Zahl an unversorgten Ausbildungsplatzbewerbern. „Unsere Befunde erfordern eine grundlegende Diskussion über die Neuordnung des Ausbildungssystems, wenn man verhindern will, dass es wirklich eine Generation Corona gibt,“ findet Dohmen. „Dabei darf nicht übersehen werden, dass faktisch seit Jahrzehnten große Teile der Jugendlichen keine Chance auf eine qualifizierte Ausbildung haben.“
Originalpublikation: www.fibs.eu