Kommunikationswissenschaftler der Universität Leipzig haben unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Pieter Hoffmann die Krisenkommunikation in Zeiten der Covid-19-Pandemie untersucht.
In Auftrag gegeben wurde die gerade veröffentlichte Studie vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Die Forschenden analysierten von Ende 2020 an ein Jahr lang unter anderem, welche Kanäle Experten wie Epidemiologen nutzten, um ihre neuen Erkenntnisse zu veröffentlichen sowie die Reaktionen darauf. Andererseits erforschten sie, wie sich die breite Öffentlichkeit über die Entwicklung der Corona-Krise informierte und welche Rolle dabei die Sozialen Medien spielten. Im Interview erläutert Prof. Hoffmann die Ergebnisse der Studie.
Herr Prof. Hoffmann, wen haben Sie und Ihr Team befragt?
Prof. Dr. Christian Pieter Hoffmann: Die Studie basierte zu einem großen Teil auf qualitativen Interviews. Befragt wurden einerseits 30 Bürger, die nach Alter, Geschlecht, Bildung und Herkunft ausgewählt wurden, um die Breite der Bevölkerung abzubilden. Alle 30 hatten angegeben, dass sie das Internet und auch Soziale Medien nutzten, um sich über die Pandemie zu informieren. Zudem wurden neun Experten befragt, darunter drei Repräsentantinnen von Institutionen, wie etwa dem Paul-Ehrlich-Institut oder der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, und sechs unabhängige Experten, darunter Prof. Melanie Brinkmann, Prof. Sandra Ciesek oder Prof. Schmidt-Chanasit. Auch die Social-Media-Präsenzen sowie besonders resonanzstarke Posts dieser Institutionen und Experten wurden inhaltsanalytisch untersucht.
Wo genau wurde die Studie veröffentlicht?
Prof. Dr. Christian Pieter Hoffmann: Die Studie wurde in der Forschungsdatenbank des Bundesamts für Strahlenschutz veröffentlicht.
Was waren für Sie als Kommunikationsforscher die überraschendsten Ergebnisse der Studie?
Prof. Dr. Christian Pieter Hoffmann: Der Fokus des Projekts lag auf den Sozialen Medien, doch es wurde sehr deutlich, dass man klassische und neue Medien nicht getrennt betrachten kann. Der gute alte Journalismus gab in der öffentlichen Debatte den Takt an, auch klassische Medien, insbesondere das Fernsehen. Dort entschieden etwa Talkshows mit darüber, wer in den journalistischen und sozialen Medien als Expertin oder Experte Aufmerksamkeit erzielte. So ergab sich häufig ein selbstverstärkender Effekt: Experten, die bereit waren, Journalisten Auskunft zu geben, wurden immer häufiger von Journalisten für Kommentare und Interviews angefragt, sie entwickelten eine gewisse Prominenz. Dadurch erhielten sie immer mehr Aufmerksamkeit – auch Follower – in den Sozialen Medien. Und ihre Social-Media-Kommunikation löste wiederum Berichterstattung aus. Wir beobachten also ein hybrides Mediensystem, in dem klassische Medien und Journalismus noch immer eine wichtige, sogar zentrale Rolle spielen. Das bestätigte sich auch auf Seiten der Bürger, die die Experten meist aus journalistischen Medien kennenlernten und ihnen nur selten direkt in den Sozialen Medien folgten.
Ein zweiter, damit verbundener Einblick ist, wie wenig vorbereitet Experten häufig für eine prominente mediale Rolle sind. Sie gelangen eher unverhofft und unerwartet zu Prominenz, einerseits weil sie bereit sind, sich öffentlich zu äußern, aber andererseits auch, weil sie das auf eine Weise tun, die für die journalistischen Medien hilfreich ist, also beispielsweise eloquent, zugespitzt, verständlich oder humorvoll. Aufmerksamkeit zieht dann Aufmerksamkeit nach sich: Andere Journalisten sehen, dass ein Experte häufig zitiert wird, und fragen dann bei denselben Experten um Aussagen und Interviews an. Je prominenter, desto begehrter werden die Experten, ihre Prominenz ist ein Nachrichtenfaktor. Irgendwann können die Experten selbst zur Story werden, etwa wenn sie sich nicht einig sind oder sich mal zu flapsig äußern. Die befragten Experten zeigten sich in der Regel überrascht von diesen Dynamiken und auch nicht immer begeistert. Irritiert hat sie etwa, dass journalistische Berichterstattung oft zugespitzt ist, damit unvermeidbar auch mal verkürzt, und dass Konflikt und Kontroverse eine wichtige Rolle in der journalistischen Darstellung spielen.
Welches waren die von den Befragten bevorzugt genutzten Medien für die Corona-Krisenkommunikation? Wie erklären Sie sich das?
Prof. Dr. Christian Pieter Hoffmann: Das war ein dritter interessanter Befund der Studie: Die Social-Media-Kommunikation der Experten und auch Institutionen war weitgehend auf Twitter fokussiert. Die Experten verfügten oft gar nicht über andere Social-Media-Profile, vor allem nicht öffentliche. Aber auch für die Institutionen spielten Facebook, Instagram oder YouTube eine untergeordnete Rolle. Begründet wurde dies meist damit, dass eben auch die Journalisten intensiv Twitter nutzen. Lustigerweise begründeten die Journalisten ihre Twitter-Nutzung wiederum damit, dass dort die Experten und Institutionen ihre Informationen verbreiten und auch miteinander diskutieren. Twitter zeigt damit für ein Elitenpublikum deutliche Netzwerkeffekte: Man muss dort präsent sein, weil andere relevante Akteure präsent sind. Es handelt sich aber eben um ein Elitepublikum und einen Elitendiskurs. Die befragten Bürger nutzten kaum Twitter und folgten auch den Experten dort eher nicht. Sie erhielten ihre Informationen vor allem aus journalistischen Medien – deren Inhalte aber natürlich auch in den Sozialen Medien geteilt werden.
Haben die Medien Ihrer Ansicht nach durch die Berichterstattung über die Corona-Krise an Glaubwürdigkeit gewonnen oder eher einen Imageverlust erlitten?
Prof. Dr. Christian Pieter Hoffmann: Die befragten Bürger zeigten sich insgesamt sehr zufrieden mit den Informationsangeboten zur Pandemie, der journalistischen Berichterstattung, der Kommunikation der Institutionen, und auch der Bereitschaft von Experten, sich einzubringen. Nur eine kleine Minderheit zeigte Anzeichen von ausgeprägter Unzufriedenheit oder gar Zynismus, insbesondere Männer, auch eher jüngere Bürger, vor allem solche, die sich selbst durch Covid-19 nicht gefährdet sahen. Eigentlich äußerten alle Befragte große Skepsis gegenüber den Informationen, die ihnen in Sozialen Medien begegneten. Aber die Unzufriedenen bezogen durchaus eher Informationen aus Sozialen und alternativen Medien. Interessanterweise berichteten übrigens auch die befragten Experten, dass sie weit überwiegend positive Resonanz auf ihre öffentliche Kommunikation erhielten, viel Anerkennung und Dankbarkeit. Gehässigkeiten oder gar Hatespeech schienen sich hier also in Grenzen zu halten. Was wir wohl feststellen konnten, war eine zunehmende Themenermüdung. Die mediale Berichterstattung wurde im Laufe der Zeit als zu monothematisch und eintönig wahrgenommen, teilweise begannen die Befragten, den Medienkonsum bewusst zu reduzieren.
Wie lief die Krisenkommunikation der unabhängigen Experten und im Vergleich dazu die der Behörden oder Institute wie dem RKI?
Beide Akteursgruppen kommunizieren durchaus professionell, aber nur eine davon auch strategisch: die Behörden und Institute. Sie haben klare Zielgruppen, einen Auftrag, sie planen und steuern ihre Kommunikation und evaluieren zumindest gelegentlich die Resonanz. Die befragten Experten dagegen werden quasi in die öffentliche Kommunikation gezogen, sie reagieren mehr auf Anfragen und Wünsche anderer. Sie verfolgen häufig nicht bewusst Kommunikationsziele und haben auch keine sehr klare Vorstellung von ihrem Publikum. Die Institutionen betrachten ihre Website als das Zentrum ihrer Online-Kommunikation, und nutzen die Sozialen Medien, um Nutzer auf diese Seiten zu locken. Experten nutzen die Sozialen Medien dagegen eher für tatsächliche Konversationen, ihre Kommunikation dort ist authentischer und persönlicher – aber, wie wir sehen konnten, auch konfrontativer und provokativer. Es war auffällig, dass Beiträge, die eher robust und emotional formuliert waren, und solche, die in einer Debatte die Gegenseite angriffen, besonders viel Resonanz erzielten.