Künstliche Intelligenz (KI) ist längst Teil unseres Alltags und verändert unser Leben tagtäglich in unzähligen Formen und Anwendungen in atemberaubender Geschwindigkeit. Doch während die Erwachsenenwelt sich bemüht, die Auswirkungen dieser Technologie zu verstehen, sind es unsere Kinder, die besonders stark betroffen sind. Silke Müller hat in ihrem Buch „Wer schützt unsere Kinder?“ eindringlich vor den Gefahren gewarnt, denen Kinder und Jugendliche in der digitalen Welt ausgesetzt sind. Im Rahmen der HomBuch stellte sie im Homburger Siebenpfeifferhaus ihre Thesen vor und rief Eltern und Lehrkräfte zum Handeln auf.
Silke Müller ist deutschlandweit nicht nur durch ihre Tätigkeit als Schulleiterin bekannt, sondern hat sich in den letzten Jahren zunehmend als eine der wichtigsten Stimmen in der Diskussion um digitale Bildung und Erziehung etabliert. Sie ist zudem erste Digitalbotschafterin Niedersachsens und gleichzeitig eine unermüdliche Kämpferin für ethische Erziehung und demokratische Werte in der digitalen Welt. Diese Themen prägen nicht nur ihre tägliche Arbeit als Schulleiterin, sondern auch ihr Engagement als Autorin. Ihr Buch „Wir verlieren unsere Kinder“ erreichte im Jahr 2023 Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste und setzte damit ein deutliches Zeichen für die gesellschaftliche Relevanz ihrer wichtigen Botschaften. Auf der HomBuch, dem weit über die Grenzen des Saarlandes bekannten Lesefest, das in vielen Einzelveranstaltungen eine Woche lang Literatur, Kunst und Musik hochkarätig bündelt, war Müllers Thema jedoch noch weiter gefasst: Sie warnte eindringlich vor den Folgen der rasant voranschreitenden KI-Entwicklung und deren Auswirkungen auf die Erziehung.
Smartphones: Allgegenwärtig und gefährlich
Als allererstes widmete sich das Event der allgegenwärtigen Nutzung von Handys. Fast jedes Kind trägt heute ein Smartphone in der Tasche, und der Zugang zu digitalen Inhalten ist somit ständig verfügbar. Aber ist das grundsätzlich etwas Gutes? Leider nein, denn die Inhalte, die die Kinder konsumieren, sind oft alarmierend: Gewaltvideos, Mobbing, pornografisches Material und andere verstörende Inhalte flimmern über die Bildschirme – und viele Eltern sind sich dessen überhaupt nicht bewusst. Müller stellte die Frage, ob wir wirklich wissen, was unsere Kinder mit ihren Smartphones tun und welche Inhalte sie konsumieren. Sie forderte Eltern auf, genauer hinzusehen und sich aktiv mit den digitalen Gewohnheiten ihrer Kinder auseinanderzusetzen.
Unkontrollierte Macht, Cybermobbing und digitale Ausgrenzung
Müller betonte, dass sie durchaus ein Fan von KI im allgemeinen und auch von KI-Anwendungen sei, da diese viele Vorteile bieten und im Alltag in vielerlei Hinsicht uns Menschen unterstützen können. Doch sie warnte auch davor, dass gerade Kinder die Schattenseiten der Technologie oft zu spüren bekommen. Besonders bedenklich seien z.B sogenannte Deepfake-Technologien, die es ermöglichen, Videos oder Bilder so zu manipulieren, dass sie real wirken, obwohl sie völlig gefälscht sind. In Schulen gibt es bereits Fälle, in denen Schüler Fotos von Mitschülern so bearbeiten, dass diese aus Bildern „herausradiert“ werden, um sie zu demütigen. Es sind absolute Tiefen und Abgründe, die junge Menschen nachhaltig stören können. Die Schulleiterin berichtete aus ihrem Schulalltag, dass Cybermobbing hier ein immer größeres Problem darstelle. Kinder, die ohnehin schon Außenseiter sind, werden durch die digitalen Möglichkeiten noch stärker ausgegrenzt. Mit wenigen Klicks werden sie, wie bereits beschrieben, aus Fotos entfernt oder in sozialen Netzwerken durch bösartige Memes bloßgestellt. Die Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und die seelische Gesundheit der Kinder sind oft verheerend. Genau solche Formen des Mobbings sind besonders schwerwiegend, weil das Internet nichts vergisst: Einmal verbreitete Bilder oder Videos bleiben für immer im Netz und können von den Betroffenen kaum wieder gelöscht werden. Es entstehen seelische Narben, die oft ein Leben lang bleiben.
Missbrauch durch KI
Besonders schockierend war Müllers Bericht über den Missbrauch von KI, um pornografische Inhalte zu erstellen. Sie schilderte ein Beispiel, bei dem der Kopf eines Kindes auf den Körper eines Porno-Darstellers montiert wurde. „Das ist, glaube ich, das Schlimmste, was man sich auch für das eigene Kind vorstellen kann“, sagte sie. Müller warnte, dass dies mittlerweile sehr leicht möglich sei, oft mit nur einem Kinderfoto, das Eltern auf sozialen Netzwerken wie Instagram veröffentlichen. Solche Inhalte könnten dann in Klassenchats oder sozialen Netzwerken verbreitet werden und enormen psychischen Schaden bei den betroffenen Kindern anrichten.
Eltern verlieren den Anschluss
Ein weiteres Problem, das Müller thematisierte, ist die wachsende Kluft zwischen der digitalen Welt der Kinder und der der Erwachsenen. Viele Eltern und Lehrer fühlen sich abgehängt und haben längst den Anschluss an die technologischen Entwicklungen verloren, das ist Fakt. Dabei ist es aber doch so wichtig, dass Erwachsene die digitale Welt verstehen, um ihre Kinder darin zu begleiten und zu schützen. Müller appellierte eindringlich an die Eltern, sich aktiv mit der Technologie auseinanderzusetzen und sich selbst weiterzubilden, um den Anschluss nicht zu verlieren. Man müsse Dinge wie Snapchat oder TikTok ja nicht selbst aktiv nutzen, aber man sollte es verstehen.
Mediensucht: Ein unterschätztes Problem
Mediensucht ist ein weiteres großes Thema, das während der Veranstaltung zur Sprache kam. Seit der Pandemie hat sich die Nutzung digitaler Medien bei vielen Kindern verdoppelt, und für viele ist der ständige Griff zum Smartphone zur Gewohnheit geworden. Silke Müller betonte im Gespräch mit SR2-Moderator Kai Schmieding, dass es an Schulen klare Regeln für die Nutzung von Smartphones geben müsse. Sie sprach sich dafür aus, dass Smartphones während der Schulpausen verboten werden, um den Kindern alternative Beschäftigungsmöglichkeiten zu bieten und kreative oder aktive Freizeitgestaltung zu fördern. Nur so könne man verhindern, dass Kinder zu abhängig von ihren digitalen Geräten werden.
Schule als Schutzraum für die Kinder
Außerdem müssen Schulen laut Müller auch als Schutzräume für Kinder fungieren. In einer Zeit, in der Eltern nun einmal oft überfordert sind oder nicht genügend Zeit haben, sich um ihre Kinder zu kümmern, sei es immens wichtig, dass die Schule als Ort der Sicherheit und Struktur dient. Dies umfasst auch den Umgang mit digitalen Medien. Sie forderte mehr Schulautonomie und eine bessere Ausstattung, um auf die Herausforderungen der digitalen Welt reagieren zu können. Dass es hierfür aber auch von der Politik bereitgestellte Gelder brauche, wurde ebenso angesprochen.
Gesellschaftlicher Werteverfall und was Eltern tun sollen und können
Durch den zunehmenden Konsum von sozialen Medien und die gleichzeitige Dauerverfügbarkeit von problematischen Inhalten wird jedenfalls schleichend ein Werteverfall befördert. Die ständige Konfrontation mit extremen Inhalten wie Pornografie oder Gewalt stumpfe Kinder ab und führe zu einem verzerrten Bild von Intimität und sozialem Verhalten, das wurde den Zuhörern im Siebenpfefferhaus innerhalb der Diskussion schnell klar. Silke Müller warnte davor, diese Entwicklung einfach hinzunehmen, und rief Eltern dazu auf, ihren Kindern ethische und moralische Werte aktiv zu vermitteln. Sie richtete somit einen klaren Appell an die Eltern: Sie müssen als Vorbilder agieren. Eltern sollten nicht nur klare Regeln für die Nutzung von Smartphones aufstellen, sondern auch selbst ihren Umgang mit digitalen Medien hinterfragen. „Ich würde mir so sehr wünschen, dass wir selber mal besser Vorbilder werden“, sagte Müller. Sie plädierte dafür, in öffentlichen Räumen wie Restaurants handyfreie Zonen einzurichten, um zu zeigen, dass es möglich ist, auch ohne ständige Erreichbarkeit auszukommen. Die Digitalexpertin gab den Eltern praktische Ratschläge, wie sie ihre Kinder in der digitalen Welt sicher begleiten können. Es sei wichtig, regelmäßig über die Gefahren von KI und sozialen Medien zu sprechen und den Kindern beizubringen, wie sie verantwortungsvoll mit diesen neuen Technologien umgehen. Eltern sollten klare Grenzen setzen, wann und wie digitale Geräte genutzt werden dürfen. Besonders wichtig sei es, dass Smartphones nachts nicht im Kinderzimmer bleiben. „Kein Handy zur Schlafzeit im Kinderzimmer“, mahnte Müller, da dies zu erheblichen Schlafproblemen führen könne.
Gemeinsam für die Sicherheit der Kinder
Silke Müllers Auftritt bei der HomBuch verdeutlichte eindringlichst, wie umfassend die heutigen Herausforderungen in der digitalen Erziehung sind. KI, soziale Medien und die ständige Erreichbarkeit prägen die Welt der Kinder und stellen Eltern, Lehrer und die Gesellschaft vor große Aufgaben. Es sei entscheidend, dass Erwachsene sich dieser Verantwortung bewusst werden und aktiv handeln, um die Kinder in einer zunehmend digitalen Welt zu schützen. Insgesamt bieten Müllers Appelle und Ratschläge einen klaren Handlungsrahmen: Kinder brauchen Begleitung, Orientierung und Schutz – sowohl in der realen als auch in der digitalen Welt. Nur so können wir sie schützen.