Symbolbild

Überschreitet ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt eine Inzidenz von 100, werden dort künftig bundeseinheitliche Maßnahmen das Infektionsgeschehen eindämmen. Das geänderte Infektionsschutzgesetz ist nun in Kraft getreten. Die Neufassung soll helfen, die dritte Welle der Pandemie zu bremsen.

Der Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite hatte das Kabinett am Dienstag, 13. April, beschlossen – als Formulierungshilfe für die Fraktionen von CDU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag. Der Bundestag hat das Gesetz dann am Mittwoch, 21. April, in einer heftig diskutierten Plenarsitzung verabschiedet, die von tausenden Kritikern mit Demonstrationen im Regierungsviertel begleitet wurden. Am Donnerstag, 22. April, hat es der Bundesrat gebilligt. Am Freitag, 23. April, ist es durch die Unterschrift von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier und die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft getreten.

Zentraler Inhalt: Überschreitet ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen eine Inzidenz von 100, gelten dort ab dem übernächsten Tag zusätzliche, im Gesetz nun bundeseinheitlich festgeschriebene Maßnahmen. Die Inzidenz von 100 wird überschritten, wenn innerhalb von sieben Tagen mehr als 100 Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 pro 100.000 Einwohner festzustellen sind. Für den Weg zurück und die Aufhebung der in der Bundes-Notbremse festgelegten Maßnahme, muss an fünf aufeinander folgenden Werktagen die Sieben-Tage-Inzidenz den Schwellenwert von 100 unterschreiten. Dann würden wiederum die Regelungen im Saarland-Modell (Ampel) in Kraft treten. „Die Lage ist ernst, sehr ernst“, betonte Bundesgesundheitsminister Spahn im Bundestag. Dies zeige ein Blick auf die Auslastung der Intensivstationen – der „härtesten Währung in dieser Pandemie“. Impfen und Testen würden eine Perspektive geben, reichten aber alleine nicht aus, um die dritte Welle einzudämmen. Vielmehr gebe es dafür ein bewährtes, erprobtes und wirksames Mittel: „das Reduzieren von Kontakten und damit von Infektionen“.

Grafik: Bundesregierung

Es geht nicht um einen Dauerzustand

„Was wir jetzt brauchen, ist Klarheit und Konsequenz“, unterstrich Bundesfinanzminister Scholz in der Parlamentsdebatte. Die Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes lege fest, dass bei einer Inzidenz über 100 etwas getan werden müsse – und zwar „überall in Deutschland“. Die Neuregelung solle zu mehr Verständlichkeit und einer größeren Unterstützung für nötige Maßnahmen beitragen. Scholz stellte klar, dass es um die Überwindung der Pandemie gehe – und „nicht um einen Dauerzustand“.

Vielzahl von Maßnahmen zur Kontaktreduzierung

Die bundesweite Notbremse sieht nun eine Vielzahl von Maßnahmen vor, um bei einem erhöhten Infektionsgeschehen Kontakte deutlich zu reduzieren und die Ausbreitung des Virus zu bremsen. Diese Maßnahmen sind im neu eingefügten §28b des Infektionsschutzgesetzes zu finden. Die meisten Instrumente sind vielen Bürgerinnen und Bürgern bereits bekannt, da sie auch schon bisher von Bund und Ländern zur Pandemiebekämpfung vereinbart wurden.

  • Kontaktbeschränkungen für private Treffen drinnen und draußen: Die Reduzierung von privaten wie beruflichen Kontakten ist das wirksamste Mittel, um die Zahl der Neuinfektionen zu bremsen. Trotzdem soll keiner einsam bleiben. Daher sind Treffen eines Haushalts mit einer weiteren Person auch bei einer Inzidenz über 100 weiterhin möglich – Treffen mit mehr Menschen dagegen nicht.
  • Öffnungen von Geschäften: Auch bei einer hohen Inzidenz wird die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, Verbrauchsgütern des täglichen Bedarfs und existentiellen Dienstleistungen verlässlich sichergestellt. Geöffnet bleiben der Lebensmittelhandel einschließlich der Direktvermarktung, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörakustiker, Tankstellen, Stellen des Zeitungsverkaufs, Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte, Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte, Gartenmärkte und der Großhandel. In allen Fällen bleiben natürlich die Beachtung entsprechender Hygienekonzepte und die Maskenpflicht Voraussetzung.Bei einer Inzidenz unter 150 wird es zudem bei allen weiteren Geschäften möglich sein, mit Termin und mit einem aktuellen negativen Testergebnis einzukaufen. Im Dienstleistungsbereich bleibt alles, was nicht ausdrücklich untersagt wird, offen, also beispielsweise Fahrrad- und Autowerkstätten, Banken und Sparkassen, Poststellen und ähnliches.
  • Körpernahe Dienstleistungen – nur in Ausnahmen: Körpernahe Dienstleistungen sollen nur zu medizinischen, therapeutischen, pflegerischen oder seelsorgerischen Zwecken in Anspruch genommen werden. Ausnahme: der Friseurbesuch und Fußpflege, allerdings nur, wenn die Kundinnen und Kunden einen tagesaktuellen negativen Corona-Test vorlegen können – und natürlich nur mit Maske. Andere körpernahe Dienstleistungen sollen nicht mehr möglich sein.
  • Eingeschränkte Freizeit- und Sportmöglichkeiten: Gastronomie und Hotellerie, Freizeit- und Kultureinrichtungen sollen bei einer Inzidenz über 100 schließen. Ausnahmen: Außenbereiche von zoologischen und botanischen Gärten. Sie können mit aktuellem negativen Test besucht werden. Berufssportler sowie Leistungssportler der Bundes- und Landeskader können weiterhin trainieren und auch Wettkämpfe austragen – wie gehabt ohne Zuschauer und unter Beachtung von Schutz- und Hygienekonzepten. Für alle anderen gilt: Sport ja, aber alleine, zu zweit oder nur mit Mitgliedern des eigenen Hausstandes. Ausnahme: Kinder bis 14 Jahre können draußen in einer Gruppe mit bis zu fünf anderen Kindern kontaktfrei Sport machen.
  • Ausgangsbeschränkungen: Im Zeitraum zwischen 22 Uhr und 5 Uhr soll nur derjenige das Haus verlassen, der einen guten Grund hat – also etwa zur Arbeit geht, medizinische Hilfe braucht oder den Hund ausführen muss. Bis 24 Uhr wird es weiterhin möglich sein, alleine draußen zu joggen oder spazieren zu gehen. Ausgangsbeschränkungen sind ein Instrument unter vielen anderen. Sie tragen dazu bei, das Mobilität begrenzt wird. Und Einschränkungen der Mobilität helfen laut Studien, die Zahl der Neuinfektionen zu senken. Insbesondere die Wirksamkeit von Ausgangsbeschränkungen wird allerdings von Kritikern angezweifelt.
  • Kein Präsenzunterricht bei einer Inzidenz über 165: Das Infektionsgeschehen macht nicht vor der Schultür halt. Aufgrund der dynamischen Infektionslage ist es daher wichtig, auch hier zu bundeseinheitlichen Regelungen zu kommen, wenn es die epidemiologische Lage erfordert. Bei einer Inzidenz über 165 soll der Präsenzunterricht in Schulen und die Regelbetreuung in Kitas untersagt werden. Mögliche Ausnahmen: Abschlussklassen und Förderschulen.
  • Homeoffice: Die Verpflichtung, Homeoffice anzubieten, wenn dies betrieblich möglich ist, ist bereits jetzt schon Bestandteil der Corona-Arbeitsschutzverordnung. Mit der Aufnahme in das Infektionsschutzgesetz wird die Homeoffice-Pflicht verstärkt. Beschäftigte haben jetzt auch die Pflicht, Homeoffice-Angebote wahrzunehmen, wenn es privat möglich ist.

Merkel: Kräfte besser bündeln

„Es führt kein Weg vorbei: Wir müssen die dritte Welle der Pandemie bremsen und den rapiden Anstieg der Infektionen stoppen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits zu Beginn der parlamentarischen Beratungen vergangenen Freitag im Deutschen Bundestag. „Um das endlich zu schaffen, müssen wir die Kräfte von Bund, Ländern und Kommunen besser bündeln als zuletzt. Deswegen ziehen wir die notwendigen Konsequenzen.“

„Ich bin mir ganz bewusst, dass es harte Einschränkungen sind“, hatte Merkel erklärt. Gerade im Hinblick auf die vieldiskutierten Ausgangsbeschränkungen betonte sie, dass diese natürlich kein Allheilmittel gegen das Virus sein. Ausgangssperren könnten jedoch ihre Wirkung in der Kombination mit anderen Maßnahmen wie strengen Kontaktbeschränkungen entfalten. „Es geht in der Pandemiebekämpfung um die Reduzierung von Kontakten. Es geht darum, abendliche Besuchsbewegungen von einem Ort zum anderen – im Übrigen auch unter Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs – zu reduzieren“. Die Vorteile dieser Maßnahme überwögen die Nachteile.

„Wir haben es schon einmal geschafft“

„Alle Maßnahmen haben ein einziges Ziel: unser ganzes Land aus dieser furchtbaren Phase der stetig steigenden Infektionszahlen, der sich füllenden Intensivstationen, der bestürzend hohen täglichen Zahl der Coronatoten herauszuführen, und zwar zum Wohle aller, und dies eher, als wenn wir uns weiter durch diese Zeit irgendwie hindurchschleppen“, erklärte Merkel. „Wir haben es doch schon einmal geschafft. Wir können es auch jetzt wieder schaffen.“

Wann die bundesweite Notbremse in welchen Landkreisen oder kreisfreien Städte angewendet wird, machen die Länder bekannt. Das Robert Koch-Institutveröffentlicht auf seinem Dashboard die 7-Tage-Inzidenz für alle Land- und Stadtkreise. Das Bundesgesundheitsministerium beantwortet wichtige Fragen zur bundesweiten Notbremse. In der Zwischenzeit wurden von Kritikern des Gesetz auch zahlreiche Klagen gegen das Gesetz eingereicht, die das Gesetz nicht im Einklang mit der Verfassung sehen.

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