Symbolbild

Autoantikörper gegen körpereigene Entzündungsregulatoren können zur Entstehung der sehr seltenen Herzmuskelentzündungen nach mRNA-Impfungen gegen SARS-CoV-2 beitragen. Der Beitrag, der von Forschern des Universitätsklinikums des Saarlandes unter maßgeblicher Beteiligung der Kardiopathologie des Universitätsklinikums Tübingen, des Forschungslabors der Klinik für Kinderrheumatologie der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster sowie der Klinik für Kinder und Jugendliche in Kempten/Klinikverbund Allgäu verfasst wurde, ist nun im renommierten Fachjournal New England Journal of Medicine als Kurzbericht erschienen.

Einem multidisziplinären, internationalen Forscherteam verschiedener Universitäten und kardiologischer Kliniken in Deutschland und Israel ist es gelungen, einen neuen Mechanismus bei der Entstehung von sehr seltenen Herzmuskelentzündungen (Myokarditiden) nach mRNA-Impfungen gegen SARS-CoV-2 aufzudecken. Die Forscher arbeiten im José-Carreras-Center für Immun- und Gentherapie und in den Kliniken für Innere Medizin I (Onkologie und Immunologie) und Innere Medizin III (Kardiologie) sowie in der Kinderkardiologie des Universitätsklinikums des Saarlandes (UKS) in Homburg. Weiterhin maßgeblich beteiligt ist die Kardiopathologie des Universitätsklinikums Tübingen, das Forschungslabor der Klinik für Kinderrheumatologie der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster und die Klinik für Kinder und Jugendliche in Kempten/ Klinikverbund Allgäu.

Die Myokarditis wurde als sehr seltene Nebenwirkung von mRNA-Impfungen gegen SARS-CoV-2 bei männlichen Jugendlichen und jungen Männern letztes Jahr zuerst in Israel beschrieben. Sie tritt in der Regel im engen zeitlichen Kontext nach einer mRNA-Impfung auf und zeigt häufig einen milderen Verlauf im Vergleich zu klassischen viralen und nicht-infektiösen Herzmuskelentzündungen. In der aktuellen Studie wurden Blutproben von Patienten (Alter 14 bis 79 Jahre) analysiert, von denen meist auch eine Herzmuskelbiopsie mit dem histologischen Befund einer Myokarditis vorlag. Insbesondere bei männlichen Jugendlichen und jungen Männern konnten Autoantikörper gegen einen zentralen körpereigenen Entzündungshemmer namens Interleukin-1-Rezepetor-Antagonist nachgewiesen werden.

Interleukin-1 (IL-1) ist ein wichtiger Botenstoff, der bei Infekten an der Alarmierung und Mobilisierung des Immunsystems beteiligt ist – er bewirkt beispielsweise Fieber. Ist die IL-1-Ausschüttung allerdings zu hoch, können viele entzündliche Erkrankungen entstehen. „Gerade bezüglich Entzündungen an Herzbeutel, Herzmuskel sowie Gefäßen wissen wir bereits um die zentrale Bedeutung von IL-1. Unser Immunsystem reguliert sich jedoch normalerweise selbst und gerade hochpotente Interleukine haben natürliche Gegenspieler, die gegebenenfalls überschießende Entzündungsreaktionen bremsen können“, erklärt Privatdozent Dr. rer. nat. Christoph Kessel, er leitet das Translational Inflammation Research Center der Abteilung Kinderrheumatologie und Immunologie am Universitätsklinikum Münster (UKM).

Bei dem Interleukin-1-Rezeptor-Antagonisten (IL-1-Ra) handelt es sich um einen solchen natürlichen Gegenspieler, der die Andockstelle für IL-1 auf der Zelloberfläche wie ein Stöpsel blockieren und damit den Signalweg abschalten kann.
„Bei den Patienten mit Myokarditis findet sich meist eine atypische Form mit einer zusätzlichen Phosphorylierung des IL-1-Ra. Das Immunsystem bewertet diesen dann als körperfremde Struktur und bildet fälschlicherweise Antikörper dagegen. Dadurch wird der so wichtige körpereigene Entzündungshemmer neutralisiert und somit die Wirkung entzündungsfördernder Botenstoffe begünstigt“, schildert Privatdozent Dr. med. Lorenz Thurner die Zusammenhänge. Er leitet eine Arbeitsgruppe am José-Carreras-Center der Klinik für Innere Medizin I des Universitätsklinikums des Saarlandes (UKS) in Homburg, die sich mit fehlgeleiteten Immunreaktionen bei Krebs- oder Autoimmunerkrankungen beschäftigt.

„Wir sind zunächst eher zufällig darauf gestoßen, dass die bei schwerem COVID-19-Verlauf häufig nachgewiesenen Autoantikörper die IL-1-Ra abfangen und dadurch seine physiologische entzündungshemmende Wirkung unterdrücken, auch bei den sehr seltenen Herzmuskelentzündungen nach SARS-CoV-2-Impfungen auftreten können“, beschreibt Thurner die Entdeckung weiter. „Man muss in diesem Kontext jedoch klarstellen, dass Impfungen gegen SARS-CoV-2 unzählige schwere Krankheitsverläufe verhindert und sehr viele Leben gerettet haben. Wir sind fest davon überzeugt, dass der Nutzen der mRNA-Impfungen mit dem daraus resultierenden Schutz gegen schwere SARS-CoV-2-Infektionen und schwere Komplikationen bei weitem das Risiko einer milden Myokarditis überwiegt, die durch die von uns beschriebenen, insgesamt sehr selten auftretenden IL-1Ra-Autoantikörper hervorgerufen werden kann“, stellt Prof. Dr. med. Karin Klingel, Leiterin der Kardiopathologie und Infektionspathologie am Universitätsklinikum Tübingen, klar.

Dieses Forschungsprojekt konnte nur durch eine enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen erzielt werden, die normalerweise nicht zusammenarbeiten. „Gerade diese ungewöhnliche Konstellation der kooperierenden Arbeitsgruppen hat die Mitarbeit am Projekt so spannend, aber auch erfolgreich gemacht“, sagt Dr. med. Jochen Pfeifer von der Kinderkardiologie des Universitätsklinikums des Saarlandes (UKS).

Beteiligt waren neben der Arbeitsgruppe um Privatdozent Dr. med. Lorenz Thurner (José-Carreras-Center/Innere Medizin I des UKS) mit der Expertise der Charakterisierung von (Auto)Immunantworten und immunogenen Proteinveränderungen (Natalie Fadle, Evi Regitz und Dr. rer. nat. Klaus-Dieter Preuss) die Arbeitsgruppe von Privatdozent Dr. rer. nat. Christoph Kessel (Kinderrheumatologie der WWU Münster) mit dem Forschungsschwerpunkt schwerer Entzündungssyndrome und Autoimmunität bei Kindern und Jugendlichen, Prof. Dr. Karin Klingel als Referenzpathologin für Herzerkrankungen von dem Universitätsklinikum Tübingen, Dr. med. Jochen Pfeifer (Klinik für Pädiatrische Kardiologie, UKS) und Prof. Dr. Michael Böhm (Kardiologie, UKS) als führend beteiligte Kardiologen und Dr. med. Bernhard Thurner (Kinderpneumologe, Klinik für Kinder und Jugendliche im Klinikum Kempten. Daneben haben viele weitere Kardiologen und Kinderkardiologen, Internisten und Kinderärzte aus Deutschland, Israel und Österreich sowie weitere Wissenschaftler (u.a. der Virologie des UKS) zu der Arbeit beigetragen.

Interessanterweise konnten die Wissenschaftler zuvor bereits die gleichen Antikörper nachweisen bei schweren Verlaufsformen von COVID-19 bei Erwachsenen und bei dem sogenannten Multisystemischen Entzündungssyndrom bei Kindern (MIS-C – „Multisystem Inflammatory Syndrome in Children“ oder auch PIMS – „Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome“ genannt). Der aktuellen Studie kommt eine besondere Bedeutung zu, da sie zum besseren Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen bei einer sehr seltenen Begleiterscheinung der SARS-CoV-2 mRNA-Impfung beiträgt. Trotz dieses substantiellen Erkenntnisgewinns bleiben jedoch noch viele Fragen bestehen und das Team arbeitet an deren Klärung sowie an weiteren, verwandten Projekten.

Unterstützt wurde die Studie von:
NanoBioMed Young Investigator Programm der Universität des Saarlandes, José-Carreras Center für Immun- und Gentherapie Homburg/Saar, Dr.-Rolf M.-Schwiete-Stiftung, Staatskanzlei des Saarlandes, Deutsche Herzstiftung, COVID-19 MWK Baden-Württemberg, Charity of the Blue Sisters, Bayrisches Gesundheitsministerium, Interdisziplinäres Zentrum für Klinische Forschung der Medizinischen Fakultät Münster, EU Horizon 2020.

Originalpublikation: https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMc2205667

Anzeige

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein