Verschwörungstheorien waren zu allen Zeiten, in allen Kulturen und allen Bevölkerungen verbreitet. Sie tauchen immer wieder im Zuge von Großereignissen auf, heutzutage etwa in der Folge von Terroranschlägen, bei Pandemien wie COVID-19 oder Präsidentschaftswahlen. Wie zwei neue Studien aus 26 Ländern zeigen, geht die Verschwörungsmentalität einer Person mit einer linksextremen oder noch stärker mit einer rechtsextremen Überzeugung einher.
„Wir beobachten außerdem eine größere Neigung zu einer Verschwörungsmentalität unter den Wählern von Oppositionsparteien, die sich einer persönlichen oder gesellschaftlichen Einflussnahme beraubt sehen“, sagt der Leiter der Studien, Prof. Dr. Roland Imhoff von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Die beiden Studien sind die bislang größte Untersuchung zum Thema Verschwörungsmentalität, sowohl im Hinblick auf die Teilnehmerzahl von über 100.000 Probanden als auch hinsichtlich der einbezogenen 26 Länder. Die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift Nature Human Behaviour veröffentlicht.
Zusammenhang zwischen Verschwörungsmentalität und politischer Orientierung
Verschwörungsmentalität bezeichnet eine Haltung, die davon ausgeht, dass geheime, finstere Kräfte am Werk sind. „In Verschwörungstheorien wird die Überzeugung vertreten, dass eine Gruppe von Akteuren heimlich zusammenarbeitet, um ein bösartiges Ziel zu verfolgen“, beschreibt Roland Imhoff, Professor für Sozial- und Rechtspsychologie, die Auffassung der Anhänger. Verschwörungsüberzeugungen gedeihen besonders im politischen Bereich. Hier sind Verschwörungstheorien untrennbar mit der Rhetorik populistischer politischer Führer verbunden.
Anhand der beiden Untersuchungen wollte das internationale Forschungsteam um Roland Imhoff Genaueres über die Beziehung zwischen politischer Orientierung und Verschwörungsmentalität herausfinden. Die erste Studie umfasst einen einzigartigen Datensatz aus 23 Ländern, darunter auch außereuropäische Länder wie Brasilien und Israel, mit 33.431 Teilnehmern. Untersucht wurde auch, ob sich mangelnde politische Kontrolle, beispielsweise falls die bevorzugte politische Partei nicht Teil der Regierung ist, auf die Verbindung zwischen politischer Orientierung und Verschwörungsmentalität auswirkt – wie es die Kontrolldeprivationstheorie annimmt. Eine zweite Studie mit 70.882 Probanden ergänzt diese Analysen mit weiteren Daten aus 13 europäischen Ländern. Die Erhebungen erfolgten jeweils mithilfe eines Fragebogens, der die Verschwörungsmentalität anhand eines standardisierten Instruments, bezeichnet als „Conspiracy Mentality Questionnnaire“, und die politische Orientierung auf zwei Arten erfasste: einmal über eine Selbsteinordnung auf einer Skala von links bis rechts, einmal über die angegebene Parteipräferenz und die Einordnung dieser Partei auf dem Links-Rechts-Schema durch internationale Experten.
Zusammengefasst weisen die Ergebnisse einen Zusammenhang auf zwischen der politischen Orientierung und der Neigung, an Verschwörungen zu glauben. „Die Befragten an den beiden äußeren Enden des politischen Spektrums formulierten stärker ausgeprägte Überzeugungen, dass die Welt von geheimen Kräften regiert wird, die im Dunkeln arbeiten“, schreiben die Autoren in dem Beitrag für Nature Human Behaviour. Darüber hinaus zeigen die beiden Studien, dass die Verschwörungsmentalität bei der politischen Rechten besonders ausgeprägt ist, vor allem unter Wählern traditioneller, nationalistischer und autoritärer Parteien.
Zwischen den einzelnen Ländern zeichneten sich leichte Unterschiede ab: Länder in Mittel- und Westeuropa verzeichnen eine stärkere Verschwörungsmentalität unter Anhängern der politischen Rechten, so in Belgien, insbesondere Flandern, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Österreich, Polen und Schweden. In südlichen Ländern wie Rumänien, Spanien und Ungarn war die Verschwörungsmentalität mehr im linken Milieu verankert.
„Verschwörungstheorien sind für Verlierer“
Verschwörungstheorien finden außerdem mehr Zuspruch, wenn die Menschen einer Partei nahestehen, die nicht Teil der Regierung ist, die Anhänger also über keine politische Kontrolle verfügen. Dieser Zusammenhang ist wiederum besonders auffällig bei Menschen am äußersten rechten Rand des Parteienspektrums. Außerdem ergab die Auswertung, dass weniger gebildete Menschen eher zu einer Verschwörungsmentalität neigen.
Über beide Studien hinweg untermauern die Ergebnisse den Eindruck, dass „Verschwörungstheorien für Verlierer sind“, wie es vom amerikanischen Politologen Joseph Uscinski formuliert wurde. Die Autoren der Studie um Imhoff merken allerdings an, dass Ursache und Wirkung nicht unbedingt eindeutig sind: Es sei gut möglich, dass Menschen, die sich zu den Wahlverlierern zählen, in der Folge von Verschwörungstheorien angezogen werden. Es könne aber genauso gut sein, dass Parteien, die sich gegen den Mainstream richten und wenig Chancen auf Wahlgewinne haben, für Verschwörungstheoretiker besonders attraktiv sind – also, dass Menschen, die sich von Verschwörungstheorien angezogen fühlen, auch eher Parteien wählen, die Wahlen verlieren.
Originalpublikation: Roland Imhoff et al.
Conspiracy mentality and political orientation across 26 countries
Nature Human Behaviour, 17. Januar 2022
DOI: 10.1038/s41562-021-01258-7
https://www.nature.com/articles/s41562-021-01258-7