Pflegende arbeiten derzeit am Limit – daran ist nicht nur die Corona-Pandemie schuld. Der Fachkräftemangel hat bereits lange vor dem Auftreten des Virus eine Krise ausgelöst – diese ist seit Jahren zum Normalzustand in der Pflege geworden. Viele Aktionen zur Fachkräftesicherung der Kliniken und Pflegeeinrichtungen erzielen nicht die erhofften Ergebnisse.Das Projekt ZAFH care4care hat diese Krise wissenschaftlich in den Blick genommen und entwickelt Lösungsansätze für eine strategische Fachkräftesicherung.
Nun geht das fünfjährige Projekt zu Ende, und am 4. Februar werden die Projektverantwortlichen unter der Leitung von Prof. Dr. Karin Reiber von der Hochschule Esslingen ihre Ergebnisse in einer großen Abschlussveranstaltung der Öffentlichkeit vorstellen und mit Expertinnen und Experten diskutieren. „Exzellente Lehre und Forschung zu aktuellen Themen unserer Zeit zeichnet uns als Hochschule Esslingen aus“, sagt Hochschulrektor Prof. Christof Wolfmaier. „Deshalb bin ich sehr stolz, dass wir nicht nur vier hervorragende Pflegestudiengänge anbieten, sondern mit unserer Forschungsarbeit auch wichtige Antworten auf drängende Fragen geben.“
„Der Fachkräftemangel schiebt sich inzwischen selbst an – wie ein Perpetuum mobile“, erläutert die Sprecherin des Forschungsverbunds, Prof. Dr. Karin Reiber: „Die Führungskräfte wissen sehr wohl, welche Mittel und Wege denkbar sind, und versuchen, diese auch zu beschreiten. Jedoch versanden viele dieser Maßnahmen, weil sie vom bestehenden Fachkräftemangel quasi unterminiert werden. Für alle Anstrengungen, um Pflegende zu gewinnen oder zu halten, braucht es konsequent umgesetzte Strategien. Das gilt für alle damit verbundenen Themen wie Bezahlung und Arbeitsbedingungen oder Aus-, Fort- und Weiterbildung. Es ist immer auch ein Balanceakt, angesichts akuter Engpässe und der Einleitung von Sofortmaßnahmen gleichzeitig strategisch zu denken und zu handeln.“
Das sind wichtige Erkenntnisse des Forschungsprojekts:
Die Branche, ihre Führungskräfte und ihre Beschäftigten brauchen kurzfristige Entlastung, mittelfristig tragfähige Lösungen und langfristig eine Neujustierung der Rahmenbedingungen. Wie kann es gelingen, dass sich schnell wirksame Maßnahmen nicht nachteilig auf die Zufriedenheit des angestammten Personals auswirken? Hierfür ist es notwendig, dass Arbeitgeber von beiden Seiten her denken und ihre Mitarbeiterschaft in die Umsetzung kurzfristiger Lösungen aber auch mittelfristig angelegtes strategisches Handeln einbeziehen.
Der Lohn ist in den Medien ein großes Thema. Dabei ist die Lohnsituation in der Pflege sehr unterschiedlich; die Bezahlung ist zwar gemessen an den hohen Anforderungen nicht ausreichend, sie ist aber besser als ihr Ruf. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts zeigen: Der Lohn hat in den unterschiedlichen Phasen des Erwerbslebens nicht immer den gleichen Stellenwert. Bei der Berufswahl von Jugendlichen spielt der Lohn eine große Rolle: Weil Jugendliche das Gehalt in der Pflege unterschätzen, beginnen sie seltener eine Ausbildung in der Pflege. Hier können bessere Informationen viel bewirken. ‘
Wenn es aber um die Wahl einer Stelle geht, achten ausgebildete Fachkräfte insbesondere auf Arbeitsbedingungen und das Team. Pflegefachpersonen ist es wichtig, die ihnen anvertrauten Menschen pflegerisch so zu versorgen, wie es ihrem Können, Wissen und Berufsethos entspricht, dafür Wertschätzung zu bekommen und sich im Team wohlzufühlen. Eine gute Arbeitsorganisation, vernünftige Arbeitsbedingungen sowie eine gute Führung sind die wichtigsten Faktoren, die Arbeitgeber selbst beeinflussen können.
Arbeitszeitmodelle, Personalentwicklung und Gesundheitsförderung sind weitere Stellschrauben, die dazu beitragen können, gut ausgebildete Pflegefachpersonen langfristig im Beruf zu halten. Bei den Arbeitszeiten sind für junge Mitarbeitende andere Maßstäbe wichtig als für Eltern oder Fachkräften in ihren letzten zehn Berufsjahren. Gut aufeinander abgestimmt, lässt sich aus diesen unterschiedlichen Wünschen beispielsweise ein guter Qualifikationsmix und ein Dienstplan mit Vorteilen für alle gestalten. Das ZAFH care4care hält dafür unter www.zafh-care4care.de konkrete Handlungsempfehlungen bereit.
Eine der wirkungsvollsten Möglichkeiten, Fachkräfte zu gewinnen, ist die Ausbildung. Dabei ist es wichtig, dass die dreijährige, mittlerweile reformierte Ausbildung den Nachwuchs nicht nur gut auf die Praxis vorbereitet, sondern auch die Basis für eine positive Bindung an den Beruf legt – und somit für den Verbleib in dem Pflegeberuf. Hier kommt der praktischen Ausbildung in den Betrieben eine zentrale Rolle zu. Auszubildende sind die Fachkräfte von morgen. Dies den Auszubildenden zu vermitteln, beginnt auf der Leitungsebene und ist Aufgabe aller. Auf der Website des Forschungsverbunds finden alle Akteure Hinweise, wie das konkret im Arbeitsalltag umgesetzt werden kann.
Zum Projekt ZAFH Care4Care
Hinter ZAFH – Zentren für angewandte Forschung an Hochschulen für angewandte Wissenschaften –verbirgt sich ein Förderprogramm Baden-Württembergs und einiger anderer Bundesländer, das sich speziell an Hochschulen für angewandte Wissenschaften wendet. Der Projektverbund Zentrum für angewandte Forschung an Hochschulen für angewandte Wissenschaften (ZAFH) care4care –Fachkräftebedarf in der Pflege im Zeichen von Alterung, Vielfalt und Zufriedenheit, besteht aus den Hochschulen Esslingen und Ravensburg-Weingarten sowie dem Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung e. V. in Tübingen. Das ZAFH care4care erarbeitet gemeinsam „mit der Praxis für die Praxis“ themenbezogene Handreichungen, die die Fachkräftesicherung unterstützen. Care4care zeigt Wege auf, wie Pflegefachpersonen gewonnen werden können, wie diese dauerhaft zufrieden und gesund in ihrem Beruf agieren können und wie der Pflegeberuf insgesamt attraktiver gestaltet werden kann.
Das Projekt wird mit insgesamt 2,8 Millionen Euro jeweils zur Hälfte aus EU/EFRE-Mitteln und vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert. Es besteht aus zwei Förderphasen: In Förderphase 1 (1. März 2017 bis 31. März 2020) wurde die Ist-Situation analysiert und Ideen zur strategischen Fachkräftesicherung entwickelt. In Förderphase 2 (1. April 2020 bis 31. März 2022) werden gemeinsam mit der Pflegebranche die wissenschaftlichen Erkenntnisse in praxistaugliche Handlungsansätze für die verschiedenen Versorgungsbereiche überführt.
Aus einem der Schwerpunktthemen des ZAFHcare4care hat sich inzwischen an der Hochschule Esslingen ein neuer Forschungsschwerpunkt entwickelt: In nunmehr vier Anschlussprojekten werden unter Leitung von Prof. Dr. Karin Reiber unterschiedliche Fragen und Aspekte der Beruflichen Bildung in der Pflege untersucht.