Symbolbild

Für die Bevölkerung wird es immer schwieriger, sich im Gesundheitssystem zu orientieren und sich in der Vielfalt der unterschiedlichen Gesundheitsinformationen zurecht zu finden. Das ergibt die neue europäische Studie “European Health Literacy Population Survey 2019-2021 (HLS₁₉)“. 17 Länder haben an der Studie teilgenommen, darunter auch Deutschland mit der Universität Bielefeld und der Hertie School Berlin. Die Studie wurde unter anderem durch die World Health Organisation (WHO) Europa initiiert.

Noch nie zuvor wurde die Gesundheitskompetenz in so vielen Ländern erhoben und gleichzeitig so differenziert betrachtet. Denn neben allgemeiner Gesundheitskompetenz wurden erstmals auch neue Themen aufgenommen. Die Fähigkeit, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden (navigatioale Gesundheitskompetenz), die digitale Gesundheitskompetenz, die kommunikative Gesundheitskompetenz, die impfbezogene Gesundheitskompetenz sowie ökonomische Folgen von Gesundheitskompetenz sind in die Studie einbezogen worden. Seit 2019 haben die beteiligten Länder daran gearbeitet, zu einem gemeinsamen konzeptionellen und methodischen Ansatz sowie neuen Messinstrumenten für die Erhebung und Auswertung zu kommen.

Die Ergebnisse der durch die WHO Europa und das Netzwerk zur Messung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung und von Organisationen (M-POHL) initiierten Studie wurden am 8. November vorgestellt – dies unter anderem unter Beteiligung von Hans Henri P. Kluge (WHO Regional Director for Europe), Ruediger Krech (Director of the Department of Ethics and Social Determinants of Health der WHO) und Prof. Dr. Ilona Kickbusch (Graduate Institute for International and Development Studies, Genf) sowie Prof Dr. Jürgen Pelikan, dem Koordinator des HLS₁₉. Regionaldirektor Dr. Henri P. Kluge erläuterte: “Gesundheitskompetenz ist eine Kernkompetenz. Die HLS₁₉ Studie gibt wichtige Hinweise für eine evidenzbasierte Gesundheitspolitik, die darauf zielt, zu einer besseren Gesundheitskompetenz zu kommen und Menschen zu motivieren, ihr Gesundheitsverhalten entsprechend zu verändern.“

Umgang mit Gesundheitsinformationen in Deutschland besonders schwierig

Im internationalen Vergleich gaben die Befragten in Deutschland besonders häufig Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen an – dies vor allem mit Blick auf die Navigation im Gesundheitssystem und den dazu nötigen Informationen: Rund 70 Prozent finden es sehr schwierig, herauszufinden welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt, die ihnen helfen können, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden. Nahezu 50 Prozent haben Schwierigkeiten, zu beurteilen, welche Art der Gesundheitsversorgung sie im Falle eines Gesundheitsproblems benötigen.

Die Leiterin der deutschen Studie, Professorin Dr. Doris Schaeffer von der Universität Bielefeld, führt dieses Ergebnis in erster Linie auf die Strukturen des deutschen Gesundheitssystems mit seinen abgegrenzten Sektoren und zahlreichen Schnittstellen zurück: „Im Unterschied zu den meisten anderen in die Untersuchung einbezogenen Ländern ist das Gesundheitssystem in Deutschland sehr komplex und instanzenreich. Für die Nutzer*innen ist es daher schwer überschaubar. Dadurch ist es nicht einfach, sich im Gesundheitssystem zu orientieren und direkt, ohne große Umwege, die richtige Stelle für das eigene Anliegen zu finden. Durch die Sektorierung und die Zersplitterung entstehen zudem zahlreiche Versorgungsbrüche. Sie sind besonders häufig bei den Versorgungsverläufen von Menschen mit langandauernden Gesundheits- und Krankheitsproblemen zu beobachten. Die neue Regierung steht damit vor einer großen Aufgabe und muss vor allem darauf achten, die Navigation zu erleichtern und zu einem nutzerfreundlichen Gesundheitssystem zu gelangen, in dem hoher Wert auf Gesundheitsinformation und die Förderung von Gesundheitskompetenz gelegt wird.“

Wie wichtig das ist, zeigen auch die neuen Daten zur allgemeinen Gesundheitskompetenz: Im Schnitt verfügt nahezu die Hälfte (46 Prozent) der Befragten in den beteiligten 17 Ländern über eine geringe Gesundheitskompetenz. Auch hier fallen die Werte für Deutschland schlechter aus. Eine Förderung der Gesundheitskompetenz ist hier deshalb besonders notwendig.

Ansatzpunkte dazu lassen sich ebenfalls aus den Ergebnissen der internationalen Studie ableiten; denn länderübergreifend fällt die Beurteilung gesundheitsrelevanter Informationen am schwersten. So hat rund jede*r zweite Befragte der internationalen Studie Probleme damit, die Vor- und Nachteile verschiedener Behandlungsmöglichkeiten einzuschätzen. Auch der Nutzen der Gesundheitsinformationen in den Medien wird als wenig hilfreich eingeschätzt: Rund 40 Prozent haben Schwierigkeiten, aufgrund von Informationen in den Medien zu entscheiden, wie man sich vor Krankheiten schützen kann – ein mit Blick auf die Corona-Pandemie alarmierendes Ergebnis. Besorgniserregend ist auch, dass ein verhältnismäßig hoher Anteil der Befragten – rund ein Drittel – Probleme hat, Informationen über den Umgang mit psychischen Gesundheitsproblemen zu finden. In Deutschland trifft dies sogar auf über die Hälfte der Bevölkerung zu. Dies ist umso problematischer, weil der Anteil psychischer Belastungen in letzter Zeit zugenommen hat.

Gesundheitskompetenz ist sozial ungleich verteilt

Doch nicht nur der hohe Anteil geringer Gesundheitskompetenz in der Gesamtbevölkerung ist alarmierend, sondern auch die Tatsache, dass Gesundheitskompetenz sozial ungleich verteilt ist. So bestätigt sich in der internationalen Studie, was bereits die deutschlandweite Befragung ergab: Einige Bevölkerungsgruppen haben größere Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen als andere. Dazu zählen insbesondere Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen, niedrigem sozialen Status und niedrigem Bildungsniveau. Doch auch die Gesundheitskompetenz von Menschen im höheren Lebensalter ist geringer als die des Durchschnitts der Befragten. Dies ist deshalb heikel, weil sie besonders auf Gesundheitsinformationen angewiesen sind.

Geringe Gesundheitskompetenz ist – wie die neue internationale Studie zeigt – folgenreich für die Gesundheit und auch für das Gesundheitssystem. Sie geht mit einem ungesünderen Gesundheitsverhalten, schlechterem subjektiven Gesundheitszustand und einer intensiveren Inanspruchnahme des Gesundheitssystems, etwa von Hausärzten, der Krankenhaus- oder Notfallversorgung einher. Damit unterstreichen die Ergebnisse einmal mehr die Bedeutung von Gesundheitskompetenz als wichtige Einflussgröße auf die Gesundheit und als Stellschraube für die Kosten im Gesundheitssystem. Gerade die Corona-Pandemie hat die Notwendigkeit eines kompetenten Umgangs mit Gesundheits- und Krankheitsinformation gezeigt. Umso wichtiger ist es, dass die Förderung von Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung aber auch im Gesundheits- und Bildungssystem stärker in den Fokus der Politik genommen wird.

Mit dem Internationalen Health Literacy Survey (HLS₁₉) wurde von bis 2019 bis 2020 eine neue international Erhebung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Ländern der WHO Region Europa vorbereitet und durchgeführt. Dabei sind Österreich, Belgien, Bulgarien, Tschechische Republik, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Irland, Israel, Italien, Norwegen, Portugal, Russland, Slowakei, Slowenien und die Schweiz. Ziel ist es zur Weiterentwicklung der Forschung über Gesundheitskompetenz in Europa beizutragen, eine Datenbasis für eine evidenzbasierte Gesundheitskompetenzpolitik zu schaffen, eine Grundlage für die Interventionsentwicklung bereitzustellen sowie die Bedeutung von Gesundheitskompetenz auf der politischen Ebene zu stärken.

Anzeige

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein