Beleidigungen, Drohungen, Hassrede – das haben 24 Prozent der Befragten einer aktuellen Studie der Strafrechtlerin Prof. Dr. Elisa Hoven von der Universität Leipzig schon einmal erlebt. Bei der gleichen Umfrage zwei Jahre zuvor waren es noch 18 Prozent. „Aus Sorge vor Hass im Netz ziehen sich immer mehr Menschen aus dem öffentlichen Diskurs zurück“, sagt Prof. Dr. Elisa Hoven.

Sie befasst sich zusammen mit ihrem Team im Forschungsgebiet Medienstrafrecht intensiv mit der Problematik des digitalen Hasses. Im Interview spricht sie über die Ergebnisse der Umfrage und ordnet ein, was zur Bekämpfung von Hass im Netz unternommen werden sollte.

Was waren die zentralen Ergebnisse der aktuellen Befragung zu Hass im Internet und wo gab es Unterschiede im Vergleich zur Befragung von vor zwei Jahren?

Prof. Dr. Elisa Hoven: Zunächst einmal hat uns wieder interessiert, wie viele Personen in Deutschland von digitalem Hass betroffen sind. Dabei hat sich leider gezeigt, dass der Anteil der Betroffenen in den letzten zwei Jahren von 18 Prozent auf 24 Prozent gestiegen ist. Dieser Anstieg betrifft Menschen aller befragten Altersgruppen. Am häufigsten mit Hass im Netz konfrontiert sind jüngere Personen: Bei den 16 bis 22-Jährigen gab die Hälfte der Befragten an, bereits selbst zum Ziel von Hasskommentaren geworden zu sein. Das deutet darauf hin, dass es sich um ein Phänomen handelt, das auch in den kommenden Jahren noch verstärkt auftreten wird.

Die Studie zeigt erneut, dass die Auswirkungen von Hass im Netz nicht zu unterschätzen sind: Der Anteil der Befragten, die aufgrund von Hassreden vorsichtiger bei eigenen Beiträgen im Internet sind, ist von 42 Prozent auf 50 Prozent gestiegen. Hier wird deutlich, dass Hasskommentare das Potential haben, den öffentlichen Diskurs insgesamt zu verändern. Wenn sich Personen aus der gesellschaftlichen Debatte zurückziehen und der sogenannte „Silencing-Effekt“ eintritt, dann ist letztlich nicht weniger als unsere Demokratie bedroht.

Seit der ersten Befragung gab es Gesetzesvorhaben zur Bekämpfung von Hass im Netz. So wurden zum Beispiel die Strafrahmen für öffentlich im Internet begangene Beleidigungen erhöht. Auch die Plattformen selbst haben ihre Moderations- und Löschpraxis angepasst. Dennoch sind mehr Menschen von Hasskommentaren betroffen als noch vor zwei Jahren. Laufen die Maßnahmen also in Leere?

Prof. Dr. Elisa Hoven: Hier muss man differenzieren. Für eine Bewertung der gesetzlichen Reformmaßnahmen ist es teilweise noch zu früh. Neue Gesetze müssen ja erst einmal umgesetzt werden. Das Thema „Hass im Netz“ erfährt seit einiger Zeit erhöhte mediale Aufmerksamkeit. Die Sensibilisierung für das Thema ist natürlich zu begrüßen. Verstärkte Berichterstattung über Hass im Netz kann aber auch dazu führen, dass viele Menschen das Problem jetzt erst richtig wahrnehmen – was die steigenden Zahlen erklären kann.

In einer Studie in Kooperation mit Prof. Thomas Hestermann (Macromedia Hamburg) konnten wir beobachten, dass die „Hassdichte“, also der Anteil der Hasskommentare auf den untersuchten Facebookseiten großer deutscher Medien wie der Tagesschau tatsächlich eher abgenommen hat. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass die Plattformen selbst mittlerweile Hasskommentare effektiver löschen.

Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, um Hassrede im Internet effektiver zu begegnen?

Prof. Dr. Elisa Hoven: Natürlich ist eine effektive strafrechtliche Verfolgung von Hass im Internet wichtig. Den Täterinnen und Tätern muss klar gemacht werden, dass ihr Handeln im Netz Konsequenzen für sie hat. Um die aktuellen Probleme in der Strafverfolgung identifizieren zu können, sichten wir derzeit deutschlandweit Ermittlungsakten zu Fällen von Hass im Netz und analysieren, wie die Strafverfolgungsbehörden mit diesen Fällen umgehen.

Das Strafrecht kann aber nur ein Baustein sein. Ebenso wichtig ist, dass Hass im Netz als Problem ernst genommen und von der Gesellschaft nicht mehr toleriert wird. Dazu gehört, dass Betroffene von Hasskommentaren gehört und ihre Erfahrungen nicht länger bagatellisiert werden. Dass das noch häufig passiert, haben kürzlich die Recherchen von Jan Böhmermann und der Redaktion des ZDF Magazin Royal gezeigt. Dazu gehört aber auch, Hass im Internet zu melden und aktiv Gegenrede zu leisten, um den Online-Diskurs nicht einigen wenigen, dafür aber umso lauteren Stimmen zu überlassen.

Zur Befragung: In Kooperation mit der Forschungsgruppe g/d/p wurden im Mai 2022 bundesweit 1013 Personen im Alter von 16 bis 70 Jahren online befragt.

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