Bild: MIBS

Bei der Vorstellung des „Lagebilds Verfassungsschutz 2020“ hat Innenminister Klaus Bouillon auf eine besorgniserregende Entwicklung im Zusammenhang mit dem Protestgeschehen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen hingewiesen.

 Innenminister Klaus Bouillon: „Manche Versammlungsteilnehmer haben die Freiheitsrechte nicht nur dazu genutzt, legitime Kritik am Regierungshandeln deutlich zu machen. Es wird im Protestgeschehen, aber vor allem auch in den sozialen Medien versucht, unseren Staat, seine Institutionen und seine Repräsentanten zu diffamieren und verächtlich zu machen, um das Vertrauen der Bevölkerung in unsere Demokratie nachhaltig zu beschädigen.“

„Selbstverständlich ist es in einer Demokratie zulässig, gegen für falsch gehaltene Maßnahmen des Staates zur Pandemiebekämpfung zu demonstrieren. Wenn der demokratische Rechtstaat allerdings als „Corona-Diktatur“ verunglimpft und zu Gewalt gegen den Staat und seine Repräsentanten aufgerufen wird, können Bürger von einer wehrhaften Demokratie erwarten, dass hier genauer hingeschaut wird“, ergänzte Ulrich Pohl, der Leiter der Abteilung Verfassungsschutz im Ministerium für Inneres, Bauen und Sport, der gemeinsam mit dem Minister das Lagebild 2020 vorstellte.

„Es werden Falschbehauptungen z.B. zu einem ‚Widerstandsrecht‘ verbreitet, unwissenschaftliche Meinungen zu COVID-19 werden als Fakten getarnt und mit Verschwörungsmythen, die vielfach einen antisemitischen Ursprung haben, gegen ‚die Eliten‘, vermengt“, erläuterte Minister Bouillon. Derartige Verschwörungsmythen, die sich über die Sozialen Netzwerke ausbreiten, könnten zur Radikalisierung beitragen und Unzufriedene und Menschen, die nach einfachen Antworten suchen, an extremistische Szenen heranführen. Minister Bouillon weiter: „Wir sehen auch, dass bekannte Rechtsextremisten und Reichsbürger vereinzelt versuchen, die Corona-Proteste für ihre Zwecke zu nutzen. Sie stehen dabei Seite an Seite mit Verschwörungsmythikern, Impfgegnern und unzufriedenen Bürgerinnen und Bürgern.“

Im Phänomenbereich Rechtsextremismus wurde 2020 das Handeln der Aktivisten durch die Corona-Thematik bestimmt. Staatliches Handeln wurde heftig kritisiert, staatliche Maßnahmen diffamiert. Die bereits im vorangegangenen Jahr zu beobachtende Erosion der klassischen organisationsbezogenen Aktivitäten setzte sich fort. Kommunikation, Kommentierungen, Terminierungen etc. erfolgten in der Hauptsache über Soziale Netzwerke, abgeschottete Chatgruppen und Messenger-Dienste wie Telegram. Insbesondere über das Internet wurde versucht, Verunsicherung von Teilen der Bevölkerung aufzugreifen, um das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Die Zahl der erkannten und vermuteten Rechtsextremisten im Saarland blieb mit 330 Personen auf dem Vorjahresniveau. Davon werden unverändert 20 Personen als gewaltorientiert eingestuft.

Die Zahl der Reichsbürger ist mit 140 gleichgeblieben. Nach wie vor sind keine strukturellen Vernetzungen zwischen den einzelnen Personen festzustellen. Weiterhin sind durch die fortwährende Anstrengung der Sicherheits- und Waffenbehörden keine erkannten Reichsbürger im Saarland in legalem Waffenbesitz.

Das Personenpotenzial der dem Beobachtungsbereich Islamismus zugeordneten Organisationen, Gruppierungen und Einzelaktivisten im Saarland belief sich im Jahr 2020 auf insgesamt rund 400 Personen (Vorjahr: ca. 380), wobei die Zahl der Salafisten, die nach wie vor das Gros des islamistischen Personenpotenzials im Saarland stellen, im vergangenen Jahr mit rund 340 gleichbleibend war. Im Saarland wird eine große Mehrheit der Salafisten dem sogenannten „politischen Salafismus“ zugerechnet. Seine Anhänger versuchen, mittels Bekehrung und politischer Einflussnahme eine allmähliche Veränderung der Gesellschaft und des politischen Systems in ihrem Sinne zu erreichen. Nur eine kleine Minderheit von rund zehn Prozent wird als gewaltorientiert eingeschätzt. Unter dem Eindruck der Corona-Pandemie ergaben sich kaum Veränderungen des etablierten salafistischen Spektrums.

Deutschland steht unverändert im Zielspektrum islamistischer Terrororganisationen. Deren Aufrufe im Internet, in Europa Anschläge mit Messern, Kraftfahrzeugen und anderen leicht zu beschaffenden Tatmitteln zu begehen, können jederzeit bei einem radikalisierten Anhänger zum Tatentschluss führen. So kam es 2020 zu drei folgeschweren Anschlägen in Deutschland. Der Brandanschlag im Frühjahr in Waldkraiburg, die Amokfahrt im August in Berlin und der tödliche Messerangriff im Oktober in Dresden belegen deutlich die weiterhin hohe Gefährdung für die Bundesrepublik Deutschland.

Das Mitgliederpotenzial ausländerextremistischer Gruppierungen hat sich mit 440 Personen gegenüber dem Vorjahr um 35 Personen reduziert. Der Grund liegt in der bundesweiten Einstellung der Beobachtung der Separatistenbewegung „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE). Die größte Gruppe stellt weiterhin die in Deutschland seit dem 26. November 1993 mit einem Betätigungsverbot belegte „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) dar. Sie ist im Saarland mit etwa 300 Mitgliedern/Anhängern und einem Mobilisierungspotenzial von rund 1.000 Personen die mitgliederstärkste und auf Grund ihrer Aktivitäten in der Öffentlichkeit am stärksten wahrgenommene Einzelgruppierung.

Im Saarland haben sich Strukturen und Erscheinungsbild des organisierten und gewaltorientierten Linksextremismus im vergangenen Jahr gegenüber 2019 kaum verändert. Das Gesamtmitgliederpotenzial linksextremistischer Parteien, Organisationen, Gruppierungen und Zusammenschlüsse ist gegenüber dem Vorjahr um 15 Personen auf 335 Personen leicht zurückgegangen. Grund hierfür sind altersbedingte Abgänge vor allem im linksextremistischen Parteienspektrum. Den Hauptteil stellt mit ca. 270 Mitgliedern/Anhängern nach wie vor das organisierte linksextremistische Parteienspektrum einschließlich seiner Umfeldorganisationen; rund 65 Aktivisten gehören der gewaltorientierten linksextremistischen Szene Saar an.

Auffällig ist weiterhin, dass die linksextremistische Szene im Saarland die Grenzen der Rechtsordnung deutlich besser respektiert als Linksextremisten im restlichen Bundesgebiet. Im Jahr 2020 waren bundesweit eine Vielzahl von Sachbeschädigungen, Brandstiftungen und Sprengstoffanschlägen sowie insbesondere direkte Auseinandersetzungen von Angehörigen der gewaltorientierten autonomen Szene mit Polizeikräften und politischen Gegnern festzustellen. Im Saarland stehen hingegen, wie in den vergangenen Jahren, die Aufklärungsarbeit über die „rechte Szene“ und Protestaktionen gegen „Nazi-Aufmärsche“ im Vordergrund.

Das aktuelle Lagebild ist unter https://www.saarland.de/mibs/DE/themen-aufgaben/aufgaben/verfassungsschutz/lagebilder/lagebilder_node.html zu finden

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