Symbolbild

Seit einem Monat rollt er wieder, der Ball. Und zwar für 16 Teams bei der UEFA-Fußball-Europameisterschaft (EM) der Frauen in England. Nicht nur die Zuschauer in den ausverkauften Stadien fiebern mit den weiblichen Fußball-Profis. Auch 9,5 Millionen Deutsche verfolgten am vergangenen Donnerstag vor dem Fernseher den Einzug der DFB-Frauen ins EM-Viertelfinale – ein neuer TV-Rekord! Darunter auch eine Studentin der Fachhochschule (FH) Bielefeld, die nicht nur dieses Spiel spannend fand, sondern auch ein wissenschaftliches Interesse am Frauenfußball hat: Im Rahmen ihrer Abschlussarbeit hat Johanna Burre mit qualitativen Methoden einen Blick hinter die Kulissen des Frauenfußballs geworfen und dabei auch die Arbeitsbedingungen von Profifußballerinnen untersucht.

Eine Insiderin schreibt ihre Bachelor-Arbeit über Gehaltskluft und ungerechte Strukturen

Mit welchen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten müssen sich Mädchen und Frauen auf ihrem Weg zum Fußballprofi stellen? Und was genau unterscheidet sie im Vergleich zu Jungen und Männern? Diesen zentralen Fragen ging Burre in ihrer Abschlussarbeit im Studiengang „Soziale Arbeit“ am Fachbereich Sozialwesen nach. Seit 15 Jahren spielt sie selbst aktiv Vereinsfußball. Einige Kontakte zu Erst- und Zweitliga-Spielerinnen baute sie dabei auf. Seit einem Jahr ist sie in einer Nachwuchsakademie eines Bundesliga-Fußballvereins als Pädagogin in Vollzeit beschäftigt. Dieser stellt selbst mehrere Frauen- und Mädchenmannschaften, darunter auch eine Damenmannschaft in der 2. Frauen-Bundesliga. Damit hat Burre Zugang zum täglichen Geschäft im Fußballberufssport von Männern und Frauen. Gepaart mit ihrer eigenen Spielzeit wurde somit das Interesse für das Thema ihrer Arbeit, Ungleichbehandlung von Frauen im Fußball-Leistungssport, geweckt.

Gehaltsunterschiede von Männern und Frauen nirgendwo so groß wie im Fußball

Ungerechtigkeiten und auch Diskriminierungen erleben Fußballerinnen auf den unterschiedlichsten Ebenen. Am deutlichsten wird dies auf den ersten Blick beim Einkommen: Mädchen beziehungsweise Frauen verdienen im Profi-Fußball deutlich weniger Geld als Männer, auch die Prämien sind signifikant kleiner. „Zwar sind exakte Gehälter von Fußballerinnen und Fußballern öffentlich nicht bekannt“, räumt Burre ein. „Jedoch gibt es im Internet diverse Schätzungen von Fachleuten zum Verdienst von Männern und Frauen, und diese liegen exorbitant weit auseinander. Der signifikante Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen, auch als „Gender-Pay-Gap“ bezeichnet, ist im Fußball so groß wie in keinem anderen sportlichen und außersportlichen Bereich“, so die Absolventin.

Das zeigt sich beispielsweise beim Profi-Golf: Bei den U.S. Open 2019 im kalifornischen Pebble Beach betrug das Preisgeld der Frauen insgesamt 5,5 Millionen US-Dollar, das der Männer war mit insgesamt 12,5 Millionen US-Dollar doppelt so hoch. Noch größer ist die Differenz bei den Handballern. Bei der heimischen WM 2017 erhielt das weibliche Siegerteam eine Titel-Prämie von insgesamt 120.000 Euro. Bei den Männern wurde dagegen eine Siegprämie von insgesamt 450.000 Euro ausgeschüttet – fast das Vierfache mehr. Die Gehaltskluft zwischen Frauen und Männern ist in anderen Sportarten teilweise riesig, aber, wie folgende Schätzung belegt, nirgends so groß wie im Fußball. Ein Beispiel hierzu: Spielerinnen der deutschen Frauen-Bundesliga verdienen im Durschnitt 39.000 Euro im Jahr. Das entspricht 3.250 Euro pro Monat. Währenddessen belaufen sich die Einnahmen eines Bundesligaspielers auf 47.500 Euro pro Spiel. Umgerechnet ist das ein Jahresgehalt von 1,9 Millionen Euro. Dabei müssen sich Spieler, die im Bereich von 1,9 Millionen befinden, eher noch zu den Geringverdienern zählen. Zusätzlich zu den Gehältern kommen bei vielen Fußballerinnen, genau wie bei ihren männlichen Kollegen, noch Einnahmen durch Prämien und Werbeverträgen, hinzu. Doch bei den Damen sind diese nur ein kleiner Zusatzverdienst, so die Recherchen von Burre.

Gender-Pay-Gap: Ist Diskriminierung der Hauptgrund?

Noch deutlicher wird der Gender-Pay-Gap beim Blick auf den ehemaligen Toptorjäger des FC Bayern München, Robert Lewandowski. In der vergangenen Saison 2021/2022 soll sein Jahresgehalt 19,5 Millionen Euro betragen haben. Sein weibliches Pendant, Sidney Lohmann, die ebenfalls beim FC Bayern München spielt, verdiente dagegen knapp 150.000 Euro pro Jahr. Wichtig hierbei ist zu berücksichtigen, dass Spielerinnen vom FC Bayern München und dem VFL Wolfsburg zu den besserverdienenden Spielerinnen in der Frauen-Bundesliga zählen, da ihnen ihre konstanten (internationalen) Erfolge ein höheres Gehalt sichern.

Burre betont: „Gehälter und Zusatzverdienste aus Prämien und Werbeeinnahmen sind sowohl bei Männern als auch bei Frauen enorm individuell. Ein allgemeines Schema lässt sich nicht erstellen.“ Deutlich wird in sämtlichen Berichterstattungen und Artikeln nur, dass die Gehälter und Prämien für Frauen nicht annähernd an die der Männer heranreichen und so ein Indiz für mangelnde Gleichbehandlung sind. Ein Hauptgrund für diese Einkommenslücke ist Diskriminierung, vermutet Burre. Die unterschiedlichen Größen der Märkte von männlichen und weiblichen Profifußball allein sind aus ihrer Sicht keine hinreichende Erklärung. Ein Indiz für diese These ist die ungleiche Bezahlung von Nationalspielern und Nationalspielerinnen. Während die Verbände in den USA, England, Brasilien und Norwegen Männern und Frauen mittlerweile die gleichen Prämien zahlen, gibt es in Deutschland nach wie vor gewaltige Unterschiede. Deutlich und aktuell wird dies bei der jüngsten EM: Bei der EM 2021 hätte der DFB jedem deutschen Spieler eine Gewinn-Prämie von 400.000 Euro gezahlt. Dagegen steht jeder deutschen Spielerin beim Titelgewinn in diesem Jahr mit 60.000 Euro nur ein Sechstel der Männer-Prämie zu.

(Vollzeit-)Job neben der Profi-Karriere – Frauen sind oft nur „Halbprofis“

Der geringere Verdienst der Frauen sorgt für einen weiteren erheblichen Unterschied zu ihren männlichen Kollegen: Die meisten Spielerinnen der 1. und 2. Fußball-Bundesliga gehen zusätzlich zum Fußball einem externen Job oder einem Studium nach, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Nach zum Teil achtstündiger Arbeit fahren sie zum Training, das mit An-und Abfahrtszeiten rund drei bis vier Stunden pro Tag umfasst. Neben normalen Fußballtrainingseinheiten kommen Analyseeinheiten, Mannschaftsbesprechungen, Individualtraining und Vereinstermine hinzu. Wenn Auswärtsspiele oder Trainingslager anstehen, müssen sich Spielerinnen teilweise Urlaub nehmen. Johanna Burre: „Auf diese Weise können sie sich nicht so entwickeln und verbessern, wie es viele Männer können, die bereits im unterklassigen Bereich das Privileg genießen, sich ausschließlich auf den Fußball konzentrieren zu können.“

Große Unterschiede auch bei den Spiel- und Trainingsbedingungen

Auch bei den Spielbedingungen und Trainingsstrukturen sind Frauen und Mädchen nach wie vor benachteiligt: „Zwar werden in puncto Arbeitsmaterialen Spielerinnen von den Vereinen eigentlich vollständig ausgestattet. Doch für das kostspieligste Equipment müssen sie teilweise immer noch selbst aufkommen: die Schuhe“, so die 30-Jährige. Hochwertige, gute Fußballschuhe bewegen sich preislich zwischen 150 und 250 Euro. Zwei bis drei Paar Schuhe mit unterschiedlicher Besohlung sind pro Saison nötig. Darüber hinaus finden Trainingseinheiten von Mädchen und Frauen meistens nicht auf dem Vereinsgelände der Männer, sondern auf Ausweichplätzen ohne eigene Kabinen statt. Trainingsutensilien müssen somit stets selbst mitgebracht werden. Das ist eine weitere zusätzliche Belastung, der sich die männlichen Kollegen niemals stellen müssen.
Burre unterstreicht: „Spielerinnen könnten sich noch viel besser entwickeln, wenn sie die gleichen Voraussetzungen wie ihre männlichen Kollegen genießen würden. Es macht einen großen Unterschied, ob sich Sportlerinnen, ganz gleich welcher Sportart, vollends auf ihren Sport konzentrieren können oder ob sie nebenbei noch einen geregelten Beruf nachgehen müssen und obendrein unter schlechten Strukturen und Benachteiligung leiden müssen.“

Eine kontinuierliche mediale Präsenz fehlt bislang

Auch in der medialen Berichterstattung kommt der deutsche Frauenfußball noch zu kurz und muss sich immer noch zu einer Randsportart zählen. Und das, obwohl die Frauenmannschaften internationale Erfolge verzeichnen können. Ein Indiz dafür sind desinteressierte Sportjournalisten, weitverbreitete Vorurteile sowie leere Ränge bei Bundesligaspielen. Eine kontinuierliche Medienpräsenz wird dem Frauenfußball im Vergleich zum Männerfußball nicht eingeräumt und erfolgt häufig nur bei sportlichen Großereignissen wie Welt- und Europameisterschaft. Nach Burres Untersuchungen fehlen nach wie vor regelmäßige Übertragungen oder Zusammenfassungen der Bundesligaspiele sowie mehr Artikel in Tageszeitungen, um aus dem Bereich des Randsports herauszutreten: „Gerade für Mädchen ist das ein großer Nachteil. Sie nehmen Frauen, die eine Sportkarriere durchlaufen, medial viel weniger wahr und können sich somit kaum an ihnen orientieren. Es fehlt ihnen oft eine Frau als Vorbild im Sport.“

Nachteilig ist dies aber auch für die Spielerinnen selbst: Firmen und Sponsoren unterstützen allgemein lieber Sportlerinnen, die bereits erfolgreich sind. Eine geringe mediale Präsenz der Frauen wirkt sich somit auf ihre Außenwahrnehmungen bei potentiellen Sponsoren und Werbefirmen aus. Werbepartner und somit wichtigen Einnahmequellen fallen so ebenfalls weg – ein Teufelskreis. Einige positive Entwicklungen sind allerdings zu erkennen: So fand beispielsweise kürzlich das UEFA Champignons League-Halbfinale der Frauen zwischen dem VfL Wolfsburg und dem FC Barcelona vor 91.000 Zuschauern statt – Rekord! Seit der Saison 2021/2022 werden zudem alle Spiele der 1. Frauen-Bundesliga zumindest im Pay-TV übertragen. Ein Fortschritt, aber auch ein Rückschritt. Denn die Spiele können, wie bei den Männern, nur durch einen kostenpflichtigen Zugang verfolgt werden.

Hürden auf dem Weg in den Fußball und zur Profi-Karriere

Auch auf dem Weg zur Profikarriere stehen Mädchen und Frauen vor gänzlich anderen Herausforderungen als Jungen und Männer. Angefangen bei der Erziehung, bis hin zur Integration im und Entscheidung für den Fußballsport müssen Mädchen größere Hürden überwinden. Hinzukommen biologische Einflussfaktoren, Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen, Frauen und Männern, die gerade Fußballerinnen den Weg zum Fußball erschweren, da in den jüngeren Jahrgängen mangels Alternativen vielerorts Mädchen mit den Jungen in einem Team spielen müssen und sich hier oft nur die frühzeitig als Top-Talente identifizierbaren Spielerinnen behaupten können, sodass das Reservoir von potenziellen Profispielerinnen auch aus diesem Grund verhältnismäßig klein bleibt.

Für Profisportlerinnen, die einen Kinderwunsch anstreben, stellt auch Schwangerschaft eine Herausforderung dar: Das Training kann mit Beginn der Schwangerschaft nicht mehr in der Intensität und dem Umfang ausgeübt werden wie zuvor. Das Fußballspielen sollte, da es als Kontaktsportart gilt, bei der Stürze, Schläge und Ballkontakte mit dem Körper nicht auszuschließen sind, lieber eingestellt werden. Ob das einstige Leistungsniveau nach der Entbindung wiedererlangt werden kann, ist unklar. Für viele Frauen ein Grund, eine Schwangerschaft nach hinten zu schieben oder gar gänzlich auszuschließen. Im Gegensatz dazu ist eine werdende Elternschaft für Männer deutlich einfacher. Kurze Nächte mit einem weinenden Säugling wirken sich sicherlich auch negativ auf die Leistungsfähigkeit eines männlichen Profifußballers aus. Dennoch kann er weitaus flexibler agieren, an mehrtägigen Trainingslagern, Lehrgängen oder Meisterschaften teilnehmen, während es für eine stillende Mutter unmöglich wäre, mehrere Tage von zu Hause fernzubleiben. So hat zum Beispiel die Nationaltorhüterin Almuth Schult vom DFB einen Zuschuss für eine Kinderbetreuung bekommen und die Erlaubnis, ihre Zwillinge und ihren Mann während eines DFB-Lehrgangs ein paar Tage empfangen zu dürfen.

Die Situation der Frauen verbessert sich langsam

Johanna Burre stellt am Ende ihrer Arbeit fest: Ob es sich um biologische, soziokulturelle, familiäre, finanzielle oder grundlegende Ausgangslagen und Strukturen handelt, ist zunächst zweitrangig, da in sämtlichen Belangen Mädchen und Frauen erschwerte Bedingungen haben. Sie hebt jedoch hervor: „Die Situation der Frauen hat sich im Vergleich zu den Anfängen verbessert.“ Medial wird dem Frauenfußball mehr und mehr Präsenz eingeräumt. Fußballvereine, Einrichtungen wie Sportinternate, Sportschulen und Nachwuchsleistungszentren, die immer mehr auch talentierten Spielerinnen offenstehen, tragen dazu bei, dass junge Mädchen ebenso wie Jungen, ganzheitlich in ihrer sportlichen, persönlichen und schulischen Entwicklung gefördert und gefordert werden.

Frauen werden nicht mehr wie 1989 mit einem Kaffeeservice abgespeist

Und auch, wenn die Gehälter und Prämien zwischen Frauen und Männern (noch) nicht gleich sind, sind sie gestiegen. Bemerkbar wird das auch bei der diesjährigen Frauen-EM: Statt einem ein 40-teiligen Kaffeeservice, dass die DFB-Frauen bei ihrem ersten EM-Titel 1989 zum Sieg erhielten (bei den deutschen Männern war es 1992 umgerechnet 30.000 Euro pro Spieler), winkt den Frauen beim Titel-Gewinn in diesem Jahr eine Prämie von 60.000 Euro pro Spielerin.

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