Ob Hardware, Halbleiter, Software oder Programmier-Services: Die weit überwiegende Mehrheit der Unternehmen in Deutschland sieht sich abhängig vom Import digitaler Technologien und Leistungen aus dem Ausland. 62 Prozent der Unternehmen ab 20 Beschäftigten bezeichnen sich sogar als „stark abhängig“, weitere 32 Prozent als „eher abhängig“.
Nicht einmal jedes zwanzigste Unternehmen (4 Prozent) erklärt sich als von Digitalimporten (eher) unabhängig. Die USA und China, aber auch die EU-Staaten sind dabei die wichtigsten Bezugsquellen. Insgesamt beziehen 95 Prozent der Unternehmen in Deutschland digitale Technologien und Leistungen aus dem Ausland. Umgekehrt exportieren 31 Prozent entsprechende Güter und Services. Das sind die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung unter mehr als 600 Unternehmen aller Branchen in Deutschland ab 20 Mitarbeitenden, die im Auftrag des Digitalverbands Bitkom durchgeführt wurde. Demnach besteht ein breiter, branchenübergreifender Konsens, dass Deutschland derartige Abhängigkeiten abbauen und die eigene digitale Souveränität viel stärker ausbauen müsse. 86 Prozent fordern mehr Investitionen insbesondere in Schlüsseltechnologien wie z.B. Künstliche Intelligenz.
„Digital souverän ist ein Land, das eigene substanzielle Fähigkeiten in digitalen Schlüsseltechnologien besitzt und selbstbestimmt darüber entscheiden kann, aus welchen Ländern es digitale Technologien bezieht. In den vergangenen Jahren ist Deutschlands Abhängigkeit gewachsen. Diese Entwicklung müssen und können wir umkehren“, sagt Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst. „Wenn wir jetzt gezielt digitale Schlüsseltechnologien fördern und Investitionen in die Digitalisierung hochfahren, können wir unsere digitale Souveränität und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands insgesamt stärken.“ Ein erster wichtiger Schritt sei der Ausbau Deutschlands zu einem Hot Spot der Chip-Industrie. „Wir brauchen eine Trendwende und wir brauchen sie jetzt. Die Stärkung unserer digitalen Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit gehört in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode ganz oben auf die Agenda.“
Unter den Unternehmen, die digitale Technologien oder Leistungen aus dem Ausland importieren, hält sich eine große Mehrheit für nur kurzzeitig überlebensfähig, wenn die Importe plötzlich nicht mehr aus dem Ausland bezogen werden könnten. Etwas mehr als die Hälfte (57 Prozent) könnte 13 bis 24 Monate überleben. 19 Prozent wären sieben bis zwölf Monate überlebensfähig, 12 Prozent sogar nur bis zu sechs Monate. Länger als zwei Jahre könnten 7 Prozent der Unternehmen durchhalten.
Ganz oben auf der Einfuhrliste stehen Endgeräte wie Smartphones oder Laptops, die 94 Prozent der Unternehmen importieren. Drei Viertel (76 Prozent) importieren digitale Bauteile bzw. Hardware-Komponenten wie z.B. Chips, Halbleiter oder Sensoren. Zwei Drittel (69 Prozent) beziehen Software aus dem Ausland und 67 Prozent Cybersicherheits-Anwendungen wie Firewalls. Der Anteil der Unternehmen, die digitale Geräte und Maschinen etwa für die Produktion aus anderen Ländern beziehen (63 Prozent) ist ähnlich hoch wie der für digitale Services wie die Programmierung von Apps oder die IT-Beratung (55 Prozent). Geringer als gemeinhin angenommen ist die Abhängigkeit von Rohstoffen für IT-Hardware, etwa Metalle oder Seltene Erden. Sie werden lediglich von 3 Prozent der Unternehmen eingeführt.
Digital-Geschäft mit Russland komplett zum Erliegen gekommen
Die wichtigsten Herkunftsländer und -regionen sind die EU, die USA und China. Aus der EU und den USA beziehen 84 bzw. 83 Prozent der Unternehmen ihre digitalen Technologien oder Services. Jeweils die Hälfte importiert von dort sogar häufig digitale Technologien oder Services, jedes dritte in Einzelfällen. China folgt als Bezugsland auf Rang drei, 74 Prozent der Unternehmen importieren von dort digitale Technologien oder Services (häufig: 50 Prozent, in Einzelfällen: 24 Prozent). Mit weitem Abstand folgen Japan und Taiwan mit 29 bzw. 28 Prozent. (Japan 8 Prozent häufig, 21 Prozent in Einzelfällen; Taiwan 10 Prozent häufig, 18 Prozent in Einzelfällen). Das Vereinigte Königreich (UK) liegt mit 25 Prozent knapp dahinter (häufig: 9 Prozent, in Einzelfällen: 16 Prozent). An Bedeutung gewinnt Indien, von wo inzwischen 15 Prozent der Unternehmen digitale Technologien oder Services beziehen (häufig: 9 Prozent, in Einzelfällen: 6 Prozent). Auch die Ukraine spielt für die deutschen Unternehmen als Lieferant digitaler Technologien oder Dienstleistungen eine große Rolle: Insgesamt jedes zehnte (häufig: 3 Prozent, in Einzelfällen: 8 Prozent) importiert von dort. Jedes zwanzigste Unternehmen (4 Prozent) bezieht digitale Technologien und Services aus Israel. Kein einziges der befragten Unternehmen gibt hingegen Russland als Handelspartner an. „Die deutsche Wirtschaft braucht starke, vertrauenswürdige Partner für die digitale Transformation. Sie muss aber auch einseitige Abhängigkeiten vermeiden“, betont Bitkom-Präsident Wintergerst.
Digital-Exporte gehen vor allem in EU-Staaten
Ein gutes Drittel der deutschen Unternehmen (31 Prozent) exportiert digitale Technologien bzw. Leistungen ins Ausland – zum überwiegenden Teil in die EU-Länder (96 Prozent), aber auch in die USA (54 Prozent), nach Japan (52 Prozent), das Vereinigte Königreich (51 Prozent), Indien (47 Prozent) sowie China (43 Prozent). Fast 3 von 10 Unternehmen (30 Prozent) exportieren digitale Güter und Services nach Israel und 11 Prozent in die Ukraine. Die Exporte nach Russland sind hingegen faktisch zum Erliegen gekommen. Welche Anwendungen stehen auf der Exportliste ganz oben? 23 Prozent verkaufen Software, ebenso viele (23 Prozent) digitale Dienstleistungen wie die Programmierung von Apps oder IT-Beratung. Etwas weniger sind es bei digitalen Bauteilen bzw. Hardware-Komponenten (15 Prozent), digitalen Geräten und Maschinen (13 Prozent) sowie Endgeräten (7 Prozent) und Cybersicherheits-Anwendungen (4 Prozent). 66 Prozent der deutschen Unternehmen verkaufen keinerlei digitale Technologien oder Services ins Ausland.
Preise und Rechtssicherheit sind wichtigste Kriterien bei der Wahl der Geschäftspartner
Bei der Wahl ausländischer Geschäftspartner im Zusammenhang mit digitalen Produkten und Dienstleistungen spielen neben Preis und Leistung insbesondere Sicherheit und Vertrauen eine entscheide Rolle. Fast alle Unternehmen (98 Prozent) nennen die finanziellen Konditionen als wichtiges Kriterium und 91 Prozent das technische Know-how des Geschäftspartners. Die Rechtssicherheit im Land des Geschäftspartners (97 Prozent) bzw. die IT-Sicherheitsstandards des Partnerunternehmens (89 Prozent) werden ähnlich hoch gerankt. Das soziale oder ökologische Engagement des Geschäftspartners ist für 63 Prozent ein wichtiges Kriterium.
Die Unternehmen ergreifen dabei gezielt Maßnahmen, um ihre Unabhängigkeit und digitale Souveränität zu stärken, insbesondere durch Diversifizierung. So achten 61 Prozent bei ihren Lieferketten darauf, dass sie Komponenten und Leistungen aus verschiedenen Ländern bzw. Regionen beziehen. 58 Prozent haben aufgrund politischer Entwicklungen Geschäftsbeziehungen in bestimmte Länder bereits stark reduziert. Jedes zweite Unternehmen (53 Prozent) gesteht aber auch ein, hinsichtlich der Verlässlichkeit der Politik am Sitz ihrer Partner gezwungenermaßen Risiken einzugehen. 39 Prozent sehen faktisch keine Abwehrmöglichkeit, sollten ausländische Partner oder Regierungen sie unter Druck setzen.
Sorge insbesondere vor Abhängigkeit von China
Das Vertrauen in die globalen Wirtschaftsräume fällt dabei unterschiedlich aus. Mehr als zwei Dritteln (69 Prozent) macht die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China Sorgen – 38 Prozent sagen dies über die Abhängigkeit von den USA. Wintergerst: „Eigene Kompetenzen sind unerlässlich, um international auf Augenhöhe agieren zu können. Das geht nur, indem Deutschland seine Position stärkt.“
Unternehmen bewerten Bemühungen der Politik mit Schulnote 5,1
Wie dringend das nötig ist, zeigt auch ein Blick in die Zukunft. Aktuell sehen 88 Prozent der Unternehmen Deutschland stark abhängig (39 Prozent) bzw. eher abhängig (49 Prozent) von digitalen Technologien und Leistungen aus dem Ausland. Nur eine Minderheit von 6 Prozent geht davon aus, dass sich diese Abhängigkeit in fünf Jahren verringert haben wird. Ein Drittel (36 Prozent) rechnet mit einer Fortschreibung des Status-quo, jedes zweite Unternehmen (55 Prozent) rechnet aber mit einer Zunahme der Abhängigkeit. Mit den aktuellen Bemühungen der Bundesregierung zur Steigerung der digitalen Souveränität Deutschlands zeigen sich die Unternehmen bislang wenig zufrieden und bewerten die entsprechenden Maßnahmen lediglich mit der Schulnote 5. Wintergerst: „Die Zahlen müssen für die Politik ein Weckruf sein. Die Stärkung unserer digitalen Souveränität wird über unsere künftige Wettbewerbs- und Widerstandsfähigkeit entscheiden. Im digitalen Raum muss Deutschland, muss Europa ein starker, selbstbewusster, digital souveräner Player werden.“
Bitkom-Vorschläge für digitale Souveränität
Sowohl die Bundesregierung als auch die EU sieht Wintergerst in der Pflicht, das Thema strategischer anzugehen. Im Koalitionsvertrag und der Digitalstrategie findet sich eine Fülle an Zielen und Einzelmaßnahmen – von der Aktivierung privaten Kapitals für die Startup-Finanzierung bis zur Weiterentwicklung der Datenökonomie – es fehle aber hier wie so oft in der Digitalpolitik der gemeinsame, ressortübergreifende Ansatz. Der werde sich in der laufenden Legislatur schwerlich nachreichen lassen, gehöre aber jetzt schon oben auf die To-Do-Liste der politischen Verantwortungsträger. Wintergerst: „Zunächst ist die EU am Zug. Die EU hat in den letzten Jahren einen Regulierungs-Tsunami entfacht und das Korsett um die digitale Wirtschaft immer enger geschnürt, oft von Deutschland getrieben. Künftig muss es vornehmlich um die Frage gehen, wie die Bedingungen für hiesige Innovationstreiber gezielt verbessert werden können, so dass sie unsere digitale Souveränität als Wirtschaft und damit unsere Resilienz als Land stärken. Deutschland und Europa brauchen eine Agenda für digitale Souveränität.“
Aus Bitkom-Sicht müssen dafür drei Bereiche adressiert werden:
- Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit: Schaffung innovationsfördernder Rahmenbedingungen, unter anderem durch die Schließung der IT-Fachkräftelücke, die Entbürokratisierung und Digitalisierung in der Verwaltung und eine neue Balance zwischen Datenschutz und Datennutzung.
- Stärkung von Schlüsseltechnologien: Abkehr vom in der Forschungsförderung noch immer praktizierten Gießkannenprinzip hin zu einer fokussierten Förderung digitaler Schlüsseltechnologien mit Hebeleffekt. Solche digitalen Schlüsseltechnologien sind insbesondere Künstliche Intelligenz, Quantum-Computing, das Industrial Metaverse und IT-Sicherheit. Auch der Ausbau Deutschlands zu einem Hot Spot der Chip-Fertigung gehört dazu. Nationale Maßnahmen müssen dabei eng mit Aktivitäten auf EU-Ebene verzahnt werden.
- Förderung von Anwendungsfeldern: Konzentration auf Technologieschnittstellen zwischen in Deutschland etablierten, starken Industrien und digitalen Anwendungen. Unter anderem in der digitalen Medizin und der autonomen, intermodalen Mobilität gibt es lohnende Anwendungsfelder. In solchen Bereichen müssen digitale Ökosysteme aufgebaut werden. Durch die Einführung von Superabschreibungen ließen sich die nötigen Digitalinvestitionen massiv steigern.
Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst: „Trotz aller Krisen: Wir leben in einer Chancen-Epoche. Nie zuvor entstand in so kurzer Zeit eine solche Fülle neuer, faszinierender Technologien. Die ersten beiden Digitalisierungswellen, die durch das Internet und das Smartphone getrieben waren, hat Deutschland verpasst. Mit KI, Quantum Computing und dem Industrial Metaverse hat Deutschland jetzt die Chance, wieder vorne mitzuspielen. Wir müssen und können Kernkompetenzen in digitalen Schlüsseltechnologien entwickeln. Die Herstellung digitaler Souveränität muss künftig Kern deutscher Wirtschaftspolitik werden.“
Hinweis zur Methodik: Grundlage der Angaben ist eine Umfrage, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverband Bitkom durchgeführt hat. Dabei wurden 604 Unternehmen ab 20 Beschäftigten in Deutschland telefonisch befragt. Die Befragung fand im Zeitraum von KW 46 bis KW 50 2023 statt. Die Umfrage ist repräsentativ.