Symbolbild

Der Einzelhandel gilt als von der Digitalisierung besonders betroffene Branche. Automatisierung, Technisierung, Onlinehandel – wettbewerbsfähig scheint nur, wer sich diesen Entwicklungstrends stellt. Tatsächlich erfolgt die Digitalisierung im Einzelhandel aber auf sehr unterschiedlichen Pfaden. Dies zeigt eine Studie des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen (SOFI).

Der Einzelhandel ist eine Branche, in der Digitalisierung und ihre Folgen besonders gut greifbar sind: Täglich shoppen wir online und begegnen auf der Straße der Paketflut des Onlinehandels, googeln Geschäfte, in denen wir wiederum auf elektronische Geräte wie Infoterminals, Selbstbedienungskassen oder elektronische Bezahlsysteme stoßen. Digitalisierung ist einerseits allgegenwärtig. Andererseits gibt es beträchtliche Unterschiede zwischen den Unternehmen. Der Einzelhandel ist eine sehr heterogene Branche. Bei weitem nicht jeder Händler handelt online oder setzt auf Technisierung seines Ladengeschäfts. Doch droht wirklich, wie eine große deutsche Tageszeitung kürzlich titelte, jedem Händler, der sich der Digitalisierung verweigert, mittel- oder langfristig das Aus? Das SOFI hat in einer Studie Digitalisierungsstrategien des Handels im Onlinehandel und stationären Handel untersucht.

Der stationäre Handel wird nicht vom Onlinehandel gefressen

„Der Onlinehandel hat im Corona-Jahr 2020 einen deutlichen Wachstumsschub erfahren. Allerdings verzerrt der Blick auf die hohen Wachstumsraten leicht die Relationen“, betont Dr. Klaus-Peter Buss. Der Marktanteil des Onlinehandels am gesamten Einzelhandel stieg nach Angaben des Handelsverbandes in 2020 um 1,8% auf 12,6%. Der ganz überwiegende Teil des Einzelhandels bleibe damit auch auf absehbare Zeit stationär: „Der stationäre Handel wird nicht vom Onlinehandel gefressen. Der Onlinehandel ist eine Einzelhandelsform unter vielen. Er wird noch weiter wachsen, aber er wächst nicht in den Himmel“, ergänzt der SOFI-Forscher.

Die Zugangsbarrieren zum Onlinehandel seien bereits heute für kleinere Unternehmen sehr hoch und der deutsche Onlinehandel fest in der Hand des amerikanischen Versandriesen Amazon: „Über die Hälfte (53%) des deutschen Onlinehandels werden allein von Amazon als Eigenhandel (19%) und über den Amazon Marketplace (34%) abgewickelt. Entsprechend ist der Anteil der Händler mit eigenem Onlineshop schon seit Jahren rückläufig. Stattdessen bieten gerade kleinere und mittlere stationäre Einzelhändler zunehmend Waren auf Online-Marktplätzen wie dem Amazon Marketplace an, begeben sich hier aber zugleich auch unter die Kontrolle der Online-Riesen, erläutert der Göttinger Soziologe. „Für viele Händler ist das nicht so attraktiv. Sie orientieren sich stattdessen auf das stationäre Geschäft.“

Auch im stationären Handel große Unterschiede – Digitalisierung kein Allheilmittel

Im stationären Handel schreitet die Digitalisierung zwar ebenso voran, doch zeigen sich große Unterschiede zwischen den Unternehmen. Während die Digitalisierung im Back-Office-Bereich allgemein oft weit fortgeschritten ist, lassen sich beispielsweise Verkaufsprozesse im stark beratungsorientierten Facheinzelhandel nur sehr schwer digitalisieren. Zuviel Technik stört hier eher die wichtige direkte Kundenbeziehung. Selbstbedienungskassen finden sich zwar in großen Verbrauchermärkten. Sie werden aber vor allem für Kleineinkäufe genutzt und ersetzen nicht das traditionelle Kassenpersonal, das die überwiegenden Großeinkäufe schneller scannt. „Digitalisierung ist für die Händler sicherlich ein Mittel, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Aber welche Form der Digitalisierung mir als Händler nutzt, hängt ganz davon ab, welches Geschäftsmodell und welche Wettbewerbsstrategie ich verfolge“, hebt Buss hervor.

Insgesamt sei der Einzelhandel durch einen harten Wettbewerb um Marktanteile geprägt. Der Druck auf die Innenstädte sei, so Buss, nicht erst ein Effekt des Onlinehandels: „Die Verlagerung des Handels aus der Innenstadt begann bereits mit dem Aufbau immer größerer Verkaufsflächen an den Stadträndern. Jetzt sehen wir nur eine weitere Teilverlagerung ins Internet. Das von Corona noch einmal angeheizte Ladensterben nur auf den Onlinehandel zurückzuführen, greift viel zu kurz. Viele Probleme sind hausgemacht. Aber die Politik begreift erst langsam, dass das nicht nur eine Frage der Wirtschaftsförderung ist, sondern vor allem auch eine Frage der Stadtentwicklung. Digitalisierung kann da helfen, sie ist aber kein Allheilmittel.“

Originalpublikation: Buss, Klaus-Peter; Walker, Eva-Maria: Strategische Interessen und Digitalisierung – das Beispiel des Einzelhandels. In: Buss, Klaus-Peter; Kuhlmann, Martin; Weißmann, Marliese; Wolf, Harald; Apitzsch, Birgit (Hrsg.) (2021): Digitalisierung und Arbeit. Triebkräfte – Arbeitsfolgen – Regulierung. Frankfurt a. M. und New York: Campus, S. 107-144.

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