Die Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung und Soziologieprofessorin an der Universität Paderborn hat die neue Befragung ausgewertet. Möglichst große soziale Balance müsse ein primäres Ziel der Anti-Krisen-Strategie sein, und zwar auch über die akute Pandemiesituation hinaus, sagt Kohlrausch: „86 Prozent der Befragten äußern Sorgen, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland weiter steigt. Wir hätten ein großes Problem, wenn sich der Eindruck festsetzen würde: Der Staat hat die Wirtschaft mit Milliarden gerettet, aber dafür müssen die sprichwörtlichen kleinen Leute zahlen. Wir sehen in unseren Befragungsdaten Anzeichen für solche Narrative, in denen sich nachvollziehbare Ängste und Verschwörungserzählungen vermischen können. Die Politik hat es in der Hand, sie zu entkräften oder zu verstärken.“ Die von Kantar Deutschland zwischen dem 18. Und dem 29. Juni durchgeführte Befragung bildet die Erwerbspersonen in Deutschland im Hinblick auf die Merkmale Geschlecht, Alter, Bildung und Bundesland repräsentativ ab. Sie stellt die zweite Welle einer Panelumfrage dar, für die bereits Anfang April gut 7700 Erwerbstätige befragt wurden.

12 Prozent der befragten Erwerbstätigen gaben an, im Juni in Kurzarbeit zu sein. Rechnet man diese Zahl auf die Gesamtzahl der Beschäftigten hoch, die in Kurzarbeit gehen können, entspräche dies knapp fünfeinhalb Millionen Menschen. Weitere neun Prozent der Befragten gaben an „weniger zu arbeiten“ oder ihre vertragliche Arbeitszeit reduziert zu haben, aber nicht in Kurzarbeit zu sein. Hierzu dürften vor allem Selbständige zählen. Andererseits sagen 14 Prozent, sie würden während der Pandemie mehr arbeiten. 63 Prozent sehen Ende Juni beim Umfang ihrer Erwerbstätigkeit keinen nennenswerten Unterschied zur Zeit vor der Krise. Dieser Anteil ist unter Menschen mit mittlerem (ab 2600 Euro monatlich) und höherem Haushaltsnettoeinkommen (ab 3200 Euro) etwas höher als bei Erwerbstätigen mit niedrigerem Haushaltsnetto.

Von den Befragten in Kurzarbeit erklären 43 Prozent, dass ihr Kurzarbeitergeld aufgestockt werde, 53 Prozent erhalten keine Aufstockung, der Rest konnte das nicht sagen. Gegenüber April ist der Anteil der Befragten, die in Kurzarbeit eine Aufstockung erhalten, um rund 10 Prozentpunkte gestiegen. Dazu dürfte beitragen, dass das gesetzliche Kurzarbeitergeld mittlerweile ab dem vierten Bezugsmonat auf 70 bzw. 77 Prozent (mit Kind) steigt. Trotz dieser gesetzlichen Regelung, die im Zeitverlauf für eine gewisse Angleichung sorgt, erhalten Personen, die in einem Unternehmen mit Tarifvertrag arbeiten, nach der Umfrage weiterhin deutlich häufiger (54 Prozent) eine Aufstockung als Personen, die nicht nach einem Tarifvertrag bezahlt werden (31 Prozent). Die DGB-Gewerkschaften haben in etlichen Branchen und Großbetrieben tarifvertraglich Aufstockungszahlungen vereinbart.

Ebenfalls groß ist der Unterschied nach Einkommensgruppen: Befragte, die über ein Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 1500 Euro verfügen, erhalten deutlich seltener eine Aufstockung als Personen, die über ein Haushaltsnettoeinkommen von mindestens 2600 Euro verfügen (33 Prozent vs. 48 Prozent ab 2600 Euro und 46 Prozent ab 3200 Euro).

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