Symbolbild

Im Zuge der weltweiten Proteste gegen Rassismus fordern Bundestagsabgeordnete, den umstrittenen Begriff “Rasse” aus dem deutschen Grundgesetz zu streichen, um rassistisches Denken nicht zu bestärken. Welche Rolle Gesetze bei der Förderung rassistischen Gedankenguts spielen, hat Dr. Anika Seemann vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, am Beispiel des verpflichtenden Handschlags im dänischen Einbürgerungsverfahren untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die darin enthaltene Regelung, einer Amtsperson die Hand schütteln zu müssen, auf einem in der Gesellschaft tief verwurzelten Rassismus gegen Muslime als ethnischer Gruppe beruht und diesen weiter befeuert.

Um dänischer Staatsbürger zu werden, müssen Einwanderer seit vergangenem Jahr zum Abschluss des Einbürgerungsverfahrens an einer Zeremonie teilnehmen und dabei mindestens einer Amtsperson die Hand geben. Diese Geste soll die Akzeptanz dänischer Werte zum Ausdruck bringen, die die dänische Gesellschaft durch die Zunahme von Immigranten aus Ländern des muslimischen Kulturkreises gefährdet sieht. Entsprechend war die Einführung des Handschlagerfordernisses gezielt gegen Muslime gerichtet, wie eine Analyse der parlamentarischen Debatten zeigt.

“Während des Gesetzgebungsverfahrens wurden Muslime als Gruppe stereotypisiert und stigmatisiert. So hat man sie im Hinblick auf die Gleichberechtigung der Frau als kulturell zurückgeblieben dargestellt”, sagt Seemann. Damit wird zugleich die Vorstellung in der Gesellschaft genährt, Menschen mit muslimischem Hintergrund seien von Geburt aus nicht in der Lage, sich einer liberalen Demokratie anzupassen. Zwei weitere jüngere Gesetze, die ebenfalls dem Schutz der dänischen Werte dienen sollen, leisten dem Rassismus gegen Muslime weiter Vorschub: das Burkaverbot von 2018 und das ein Jahr später eingeführte Verbot der operativen Widerherstellung des Jungfernhäutchens.

Äußerst problematisch ist, dass sich gegen das Handschlagerfordernis, das Muslime in rassistischer Weise diskriminiert, sowohl auf internationaler als auch auf europäischer Ebene nur bedingt juristisch vorgehen lässt. Die UN-Rassendiskriminierungskonvention greift in diesem speziellen Fall nicht. Gleichermaßen ist auf europäischer Ebene die An-tirassismusrichtlinie (2000/43/EG) ein unzureichendes Instrument, um gegen das Handschlagerfordernis vorzugehen.

Geeignet scheint auf den ersten Blick ein Rückgriff auf die Europäische Menschenrechtskonvention. Bei ihrer Anwendung konzentriert sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bislang allerdings vorrangig auf Einzelfälle von Diskriminierung aus Gründen der Religion und vermeidet es, sich mit der ethnischen Zugehörigkeit als Diskriminierungsgrund zu befassen. Zudem ist der EGMR auf dem historischen Auge blind und berücksichtigt weder die Entstehung eines Gesetzestextes noch dessen gesellschaftlichen Hintergrund.

Um besser gegen Rassismus vorgehen zu können, plädiert Seemann zum einen dafür, stärker zwischen Diskriminierung aufgrund der Religion einerseits und Diskriminierung aufgrund einer ethnischen Zugehörigkeit andererseits zu unterschei-den. Zum anderen darf bei der Prüfung, ob eine Regelung rassistisch ist, nicht nur der Gesetzestext selbst herangezogen werden: “Es ist unbedingt notwendig, auch die Absicht des Gesetzgebers und die historischen wie gesellschaftlichen Zusammenhänge stärker als bisher zu berücksichtigen”, fordert die Wissenschaftlerin.

Originalpublikation: Anika Seemann (2020): The Mandatory Handshake in Danish Naturalisation Procedures: A Critical Race Studies Perspective, in: Nordic Journal on Law and Society, Bd. 3 Nr. 1, S. 1-32

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