Bis zum Osterwochenende konnte die Bundesregierung mehr als 200.000 Menschen aus dem Ausland zurückholen – oft unter erschwerten Bedingungen. Walter Lindner, deutscher Botschafter in Indien, über nächtliche Bustouren Richtung Himalaya, eine Kantine als Krisenzentrum und gestrandete Reisende im Botschaftsgarten
Mit besonderen Lagen kennt sich Walter Lindner aus. In seiner abwechslungsreichen Laufbahn war er schon Krisenbeauftragter des Auswärtigen Amtes und Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Ebola-Krise. Seit April 2019 leitet der 63-Jährige die deutsche Vertretung in Neu-Delhi.
Herr Botschafter Lindner, wie viele Indienreisende konnten Sie schon zurück nach Deutschland bringen?
Walter Lindner: Bis jetzt haben wir rund 3.200 Menschen ausfliegen können. Das waren zwölf Flüge aus sieben verschiedenen indischen Städten – etwa 1.000 Menschen allein aus Goa im Süden, das wegen seiner Strände und der vielen Yoga-Zentren besonders beliebt ist.
Wie konnten Sie die Menschen erreichen?
Walter Lindner: Es musste alles sehr schnell gehen. Innerhalb weniger Tage wurden sämtliche internationalen und auch nationalen Flüge gestrichen. Zunächst haben wir über tägliche Videos, Twitter-Botschaften und unsere Internetseite alle Deutschen aufgefordert: Versucht noch einen Flug zu bekommen. Als das nicht mehr ging, waren noch etwa 4.000 im Land. Viele hatten sich bei uns online registriert. Wir haben dann weiter über tägliche Videos, Social Media und die Internetseite der Botschaft zur aktuellen Lage und zu unseren Plänen informiert, standen auch mit vielen per E-Mail und Telefon in Kontakt. Dazu haben wir unsere Kantine in kurzer Zeit in ein großes Krisenzentrum und eine Telefonzentrale umgebaut – mit 40 Arbeitsplätzen in Schichten und Rund-um-die-Uhr-besetzten sechs bis acht Hotlines.
Wie lief dann die Rückholaktion? Es herrschte ja schon eine strikte Ausgangssperre.
Walter Lindner: Die Sonderflüge haben wir zusammen mit dem Lagezentrum im Auswärtigen Amt in Berlin organisiert. Die größte Herausforderung war aber, die Menschen zu den Flughäfen zu bringen. Das besondere an Indien ist, dass es fast nur Individualreisende gibt. Wir konnten also nicht einfach einzelne Hotels ansteuern und große Touristengruppen abholen. Die Reisenden verteilen sich von den Stränden im Süden über die großen Metropolen bis zu den heiligen Stätten und Ashrams, also den Meditationszentren, an den Ausläufern des Himalayas. Wir haben von der Botschaft gefertigte Passierscheine per E-Mail verschickt, damit die Leute mit Bussen oder Taxi zum Flughafen kommen können. Das funktionierte oft, aber nicht immer. Nicht alle haben es auf diesem Weg geschafft.
Wie ging es in solchen Fällen weiter?
Walter Lindner: Wir wussten zum Beispiel, dass noch 150 Leute in Rishikesh festsitzen. Ein beliebtes Reiseziel, wo schon die Beatles meditiert haben. Das liegt gut zehn Stunden Fahrtstrecke von der Hauptstadt Neu-Delhi entfernt. Unsere Mitarbeiter sind dann nachts mit Bussen aufgebrochen, über eigentlich geschlossene Grenzen zwischen den Bundesstaaten. Zum Glück hat es geklappt.