Tourismus hat unmittelbaren Einfluss auf den Wohnungsmarkt – nicht nur in Metropolen, die durch entsprechende Regelungen etwa die Umwandlung in Ferienwohnungen verbieten, um weiterhin bezahlbaren Wohnraum zu gewährleisten. Doch wie genau sich die Situation in eher ländlichen Tourismus-Destinationen entwickelt, ist bislang kaum erforscht. Deshalb haben Forschende der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) dies nun mit einer Fallstudie am Beispiel von Garmisch-Partenkirchen untersucht. Die Wissenschaftler des Lehrstuhls für Humangeographie wurden dabei gefördert vom Bayerischen Zentrum für Tourismus (BZT).
Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Ortsansässige ohne eigenes Vermögen zunehmend aus dem Wohnungsmarkt herausgedrängt werden. Hintergrund dafür ist nicht nur eine zunehmende tourismusorientierte Nachfrage – ursächlich sind vor allem finanzwirtschaftliche Aspekte. „Für die Untersuchung derartiger Fragen bietet sich Garmisch-Partenkirchen idealtypisch an. Die Marktgemeinde besitzt mit rund 28.000 Einwohnern städtische Dimensionen, ist aber insbesondere in sozialer und baulicher Hinsicht eher ländlich geprägt. Sie ist zugleich eine der ältesten und bedeutendsten Destinationen Deutschlands und weist eine hohe Tourismusintensität und tourismusgetriebene Nachfrage nach Wohnimmobilien auf“, erklären Professor Dr. Christian Steiner und Dr. Gerhard Rainer. Für die Fallstudie haben sie Daten zum Immobilienmarkt und zur Einkommensstruktur zusammengetragen sowie qualitative Interviews mit Akteuren aus der Tourismus‑, Immobilien- und Finanzwirtschaft sowie der Kommunalpolitik durchgeführt. Neben Steiner und Rainer waren auch Dr. Frank Zirkl und Theresa Kors, die zu diesem Thema promoviert, an der Untersuchung beteiligt.
Im Januar vergangenen Jahres zählte man, wie die Forschenden zusammentrugen, in Garmisch-Partenkirchen rund 900 Ferienwohnungen und -häuser mit über 4800 Betten. Somit sei binnen eines Jahres allein in diesem Segment die Anzahl um knapp 25 Prozent bzw. 1100 Betten gestiegen. In den Jahren 2014 bis 2020 habe sich am Ort der Kaufpreis für Baugrundstücke nahezu verdoppelt. Im selben Zeitraum seien zudem die Mieten um 37 Prozent angestiegen – weit über dem mittleren Anstieg der Bruttomonatsgehälter. Gleichzeitig seien jedoch die Einkommen in Garmisch-Partenkirchen im bundesweiten Vergleich unterdurchschnittlich. „Nur noch vermögende Einheimische, die bereits über Immobilieneigentum verfügen, und vor allem auswärtige Käufer sind in der Lage, Immobilien in der Marktgemeinde zu erwerben. Wird diese Preisdynamik nicht sehr deutlich gebrochen, ist damit zu rechnen, dass sich die soziale Lage noch weiter polarisieren wird“, schreiben die Forschenden in Ihrem Fachbeitrag. Dies könne auch für die lokale und regionale (Tourismus‑)Wirtschaft zunehmend zu einem Problem werden, die sich angesichts des ohnehin herrschenden Fachkräftemangels in Zukunft schwerer tun werde, genügend Arbeitskräfte anzuziehen.
Einen wesentlichen Aspekt für diese Entwicklung sehen die Forschenden darin, dass mit touristischer Vermietung deutlich höhere Renditen als bei einer Vermietung zu Wohnzwecken erzielbar seien. „Ein Ferienwohnungsvermieter berichtete von den finanziellen Motiven, die beim Bau und der Vermietung seines neuen Ferienapartmenthauses überwogen haben. Mit dem Gedanken, etwas in der Tourismusbranche zu machen, habe die Entscheidung überhaupt gar nichts zu tun gehabt. Günstige Finanzierungskonditionen waren der Anlass, um auf dem vorhandenen Grundstück seiner Familie bauen zu können“, berichtet Theresa Kors. Höhere Mietrenditen bei Ferienwohnungen, mehr Flexibilität bei der Vermietung und steuerliche Vorteile seien ausschlaggebend gewesen, Ferienwohnungen zu schaffen, anstatt eine Festvermietung einzugehen.
„Es besteht die ernstzunehmende Gefahr, dass die arbeitende Bevölkerung zugunsten von Touristen, vermögenden Einheimischen und reichen Auswärtigen aus der Marktgemeinde verdrängt wird. Diese sich verschärfende Entwicklung widerspricht den Grundsätzen einer auch sozial nachhaltigen Siedlungsentwicklung“, betont Dr. Frank Zirkl.
Andere touristische Orte im ländlichen Raum, wie Berchtesgaden oder Sylt, stünden ähnlichen Herausforderungen gegenüber. Die Ergebnisse werfen daher über die Fallstudie hinaus Fragen der nachhaltigen Regionalentwicklung in touristischen Destinationen Deutschlands auf. Ohne ein konsequentes Handeln drohe in Zukunft, dass die Dynamiken der Immobilienmärkte eine nachhaltige Tourismus- und Regionalentwicklung in kleinstädtischen und ländlichen touristischen Räumen unmöglich machten.
Wolle man den Entwicklungen entgegenwirken, könne man im Rahmen der kommunalen Bauleitplanung Maßnahmen ergreifen. So biete sich etwa die Möglichkeit einer aktiven Grundverkehrspolitik, die Flächen bei Umwidmungen ankaufe und vergünstigt sowie – noch konsequenter an soziale Kriterien gebunden – ausschließlich an Einheimische oder im Ort Arbeitende für den Wohnungsbau zur Verfügung stelle. Speziell in Garmisch-Partenkirchen würden zudem zusätzliche Flächen für den Wohnungsbau für nichttouristische Zwecke benötigt, die beispielsweise im Rahmen einer gezielten Nachverdichtung und einem Ausbau von Dachflächen erschlossen werden könnten.
Ausgehend von den Forschungsergebnissen der aktuellen Untersuchungen des Projektteams in Garmisch-Partenkirchen wollen die Forschenden in einem Folgeprojekt in Oberstdorf und Berchtesgaden ergründen, welche innovativen raumordnerischen und privatwirtschaftlichen Instrumente effektiv genutzt werden können, um dieser Entwicklung entgegen zu wirken. Auch dieses Projekt wird vom Bayerischen Zentrum für Tourismus gefördert. „Wir wollen dabei nicht nur für die Tourismuswissenschaft, sondern auch für Entscheidungsträger in Politik und Tourismus Grundlagen für einen Austausch und eine essentielle Wissensbasis zu Verschränkungen von Tourismus- und Immobilienmärkten bieten. Damit touristisch stark geprägte Orte auch langfristig für Einheimische und Fachkräfte attraktiv bleiben“, sagt Professor Steiner.
Originalpublikation: Der ausführliche Fachbeitrag „Tourismus, freizeitorientierte Migration und Wohnimmobilienmarktentwicklung“ ist erschienen in „Standort – Zeitschrift für angewandte Geographie“ und frei verfügbar unter https://doi.org/10.1007/s00548-022-00790-6