Die Kosten für neu zugelassene Arzneimittel erreichen einen neuen Höchststand. Seit 2010 haben sich die Preise neuer Arzneimittel in Deutschland fast vervierfacht. Die durchschnittlichen Kosten für neu eingeführte Arzneimittel pro Patienten und Jahr sind von 40.000 auf 150.000 Euro gestiegen.
Das zeigt der aktuelle AMNOG-Report der DAK-Gesundheit mit einer 10-Jahres-Bilanz der Universität Bielefeld zur Arzneimittelbewertung. Inzwischen ist jede vierte Neuheit ein Hochpreis-Medikament mit Kosten von über 100.000 Euro, womit sich deren Anteil verdoppelt hat. Trotzdem bewerten Experten das AMNOG-Verfahren, das vorrangig zur Preisregulierung neuer Arzneimittel dient, in einer Gesamtbilanz als positiv: es sei wissenschaftlich, transparent und fair.
„Trotz der nach wie vor sehr hohen Markteintrittspreise hat sich das AMNOG-Verfahren bewährt und als lernendes und flexibles System gezeigt“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. „Dennoch gibt es noch Baustellen. Wir müssen das Instrument so fortentwickeln, dass Patienten weiterhin Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung erhalten, ohne das Gesundheitssystem zu überfordern.“ Im AMNOG-Report blicken hochrangige Gastautoren auch in die Arzneimittel-Zukunft, darunter Prof. Josef Hecken, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).
Bis Ende 2019 wurden insgesamt 259 neue Wirkstoffe in 439 Verfahren durch den G-BA auf einen Zusatznutzen hin geprüft. Bei mehr als der Hälfte dieser Nutzenbewertungen (57 Prozent) konnte ein solcher belegt werden. Dieser Wert bleibt über die vergangenen Jahre konstant. Dabei zeigt sich laut DAK-Report auch in diesem Jahr der Trend zu immer höheren Markteintrittspreisen. Mit Jahrestherapiekosten von durchschnittlich 150.000 Euro pro Patienten wurde 2019 ein neuer Höchststand erreicht. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies einen Anstieg um 50 Prozent. „Wir müssen offen darüber diskutieren, wie wir künftig nicht nur den Nutzen einer Therapie systematisch bewerten, sondern bei hochpreisigen Arzneimitteln auch die damit verbundenen Kosten“, sagt Andreas Storm. „Das ist die Herausforderung der Zukunft.“
Die verhandelten Abschläge, die für die Krankenkassen und privaten Krankenversicherungen den Preis neuer Arzneimittel reduzieren, bleiben auf einem weitestgehend konstanten Niveau zwischen 18 und 27 Prozent. Es ist erkennbar, dass sich die Spielräume für Preisabschläge auch bei hochpreisigen Arzneimitteln nicht bedeutend vergrößern. Somit funktioniert das Instrument der Preisverhandlungen im AMNOG-Verfahren, jedoch ist auch hier ein deutlicher Trend zu erkennen: Nach den Preisverhandlungen und entsprechenden Korrekturen nach unten werden die neu zugelassenen Arzneimittel im Durchschnitt immer teurer.
Alles in allem zeigt sich das AMNOG-Verfahren als lernendes System, das sich in den vergangenen zehn Jahren bewährt hat. Das verdeutlichen laut der Forscher der Uni Bielefeld vier Kennzahlen: 10, 22, 5 und 11 – in den zehn Jahren AMNOG gab es insgesamt 22 kleine Anfragen an die Bundesregierung, fünf Urteile des Bundessozialgerichts und elf Änderungsgesetze mit entsprechenden Nachbesserungen. Insgesamt belaufen sich die Einsparungen allein für die gesetzlichen Krankenkassen über den gesamten Zeitraum auf mindestens neun Milliarden Euro – trotz der immer weiter steigenden Arzneimittelpreise. Das ursprüngliche Einsparziel des AMNOG von zwei Milliarden Euro jährlich ist so erfüllt.
Der AMNOG-Report enthält auch eine Befragung von Experten aus Krankenkassen, Verbänden, Kassenärztlichen Vereinigungen und Industrie. Ergebnis: 70 Prozent aller Befragten bewerteten das AMNOG mit der Schulnote „gut“. Kein Teilnehmer ließ das Verfahren durchfallen. Die hohe Akzeptanz über alle Stakeholder-Gruppen hinweg spiegelt sich auch in der charakteristischen Zuschreibung des AMNOG-Verfahrens als wissenschaftlich, transparent (je 92 Prozent) und fair wider.
Neben aktuellen Zahlen, Daten und Fakten beleuchtet der AMNOG-Report 2020 auch fünf verschiedene AMNOG-Mythen. So zeigt die Untersuchung, dass sich beispielsweise die Befürchtung von Versorgungslücken durch eine Verhandlung der Arzneimittelpreise nicht bewahrheitet hat. „Das Gegenteil ist der Fall: Die frühe Nutzenbewertung wird von den am Verfahren beteiligten Parteien als sehr kooperativ und transparent wahrgenommen“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Greiner, Gesundheitsökonom an der Universität Bielefeld und Autor des AMNOG-Reports 2020. „Dennoch gibt es noch genügend Diskussionsbedarf, beispielsweise beim Einfluss von Versorgungsdaten in den AMNOG-Prozess. Hierzu sind neue Modelle notwendig, sowohl bei der Datengenerierung als auch der Datenverarbeitung.“ Weiteren Mythen wird im Report nachgegangen:
1.) Das AMNOG ist in bestimmten Konstellationen unfair.
2.) Die Evidenz für Orphan Drugs ist in der Regel schlecht.
3.) Die Preise neuer Arzneimittel steigen kontinuierlich.
4.) Der AMNOG-Prozess generiert keine Einsparungen.
5.) Die Verschreibungspraxis folgt nicht den Ergebnissen der Nutzenbewertung.
Diese Mythen werden im Faktencheck überprüft, bestätigt oder widerlegt. In acht hochkarätigen Gastbeiträgen werfen im aktuellen Report nationale Experten einen Blick zurück auf zehn Jahre AMNOG, wagen aber auch einen Ausblick in die Zukunft und stellen verschiedene Ansätze der Weiterentwicklung zur Diskussion. Dazu zählen unter anderem Prof. Josef Hecken, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Prof. Dr. Karl Lauterbach, SPD-Bundestagsabgeordneter, und Dr. Antje Haas, Leiterin der Abteilung Arznei- und Heilmittel beim GKV-Spitzenverband.
Daneben werfen zwei weitere Gastautoren den Blick von außen auf das deutsche Erfolgsmodell AMNOG: John Rother, der Präsident der National Coalition on Health Care in Washington D.C., Vereinigte Staaten, vergleicht die Preisbildungsmechanismen der USA mit denen von Deutschland. Die europäische Perspektive nimmt Dr. Sabine Vogler vom WHO-Kooperationszentrum für Arzneimittelpreisbildung und -Erstattung bei Gesundheit Österreich (GÖG) in Wien ein.
Der AMNOG-Report der DAK-Gesundheit begleitet das Verfahren der frühen Nutzenbewertung seit 2015 mit umfangreichen Daten und Analysen. Die DAK-Gesundheit ist eine der größten gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland und versichert 5,6 Millionen Menschen. 2019 gab sie 3,9 Milliarden Euro für Arzneimittel aus – das entspricht 686 Euro pro Versicherten. Nach den Ausgaben für Krankenhausbehandlungen waren Arzneimittel damit der zweitgrößte Ausgabenblock.