Symbolbild

Die Bilanz nach drei Jahrzehnten deutsche Einheit ergibt: Trotz fortschreitender Angleichung bestehen noch immer Trennlinien zwischen Ost und West, diese verlieren aber im Vergleich zu den deutschlandweiten Unterschieden zwischen Stadt und Land oder zwischen strukturschwachen und prosperierenden Regionen immer mehr an Gewicht. Wo und wie sich die Lebensrealitäten heute noch unterscheiden, untersucht die neue Studie „Vielfalt der Einheit“ des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Sie zeigt anhand von 30 Themenfeldern, wie das einst geteilte Land zusammengewachsen ist.

Bei den Kinderzahlen, der Lebenserwartung oder auch Umzugsentscheidungen unterscheiden sich die Menschen östlich und westlich der ehemaligen innerdeutschen Grenze heute kaum noch. Nach dem massiven Einbruch der Geburten in den 1990er Jahren in den damals neuen Bundesländern hat sich die Kinderzahl je Frau inzwischen angeglichen und betrug 2019 bundesweit 1,54. Auch die Abwanderung von Ost nach West ist seit 2014 gestoppt.

„Obwohl sich die demografischen Vorzeichen inzwischen angeglichen haben, hallt das Echo der demografischen Entwicklungen der Nachwendejahre nach“, erklärt Manuel Slupina, ein Autor der Studie. Während die westdeutschen Länder seit der Wiedervereinigung um 5,4 Millionen Bewohner gewachsen sind, haben die ostdeutschen Länder 2,2 Millionen verloren. Und auch in Zukunft dürfte sich diese Entwicklung fortsetzen. Einer aktuellen Bevölkerungsprognose des Berlin-Instituts zufolge wird in allen fünf ostdeutschen Flächenländern die Einwohnerzahl bis 2035 weiter abnehmen. Am stärksten mit fast 16 Prozent in Sachsen-Anhalt.

Zunehmend verläuft die Trennlinie zwischen Wachsen und Schrumpfen aber nicht mehr zwischen Ost und West, sondern zwischen attraktiven Großstädten mit ihrem Umland und ländlichen Gebieten fernab der Zentren. Innerdeutsche Wanderungsentscheidungen sind heute vor allem vom Lebensabschnitt geprägt. Junge, gut qualifizierte Menschen ziehen in die urbanen Zentren, Familien interessieren sich wieder mehr für ländliche Gemeinden – in Ost wie West.

„Trotz aller Erfolge im Einheitsprozess wirkt sich die ehemalige Teilung bis heute auf das Leben in Ost und West aus“, sagt Susanne Dähner, Autorin der Studie. Beim Einkommen und Vermögen zeigen sich noch deutliche Unterschiede. So verfügen die Ostdeutschen im Schnitt immer noch über 14 Prozent weniger Einkommen als Westdeutsche. Haushalte zwischen Rügen und Erzgebirge haben bis heute gerade einmal die Hälfte dessen angespart und investiert, was ein Haushalt zwischen Sylt und Alpenrand zurücklegen konnte. Doch das eigentliche Einkommensgefälle besteht heute zwischen wirtschaftlich erfolgreichen Regionen und jenen, die in einem harten Strukturwandel stecken. Noch zur Jahrtausendwende lagen die einkommensschwächsten Kreise ausschließlich in den ostdeutschen Ländern, inzwischen erzielen die Bewohner der Ruhrgebietsstädte Gelsenkirchen und Duisburg das niedrigste jährliche Einkommen.

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