Wissenschaftler:innen des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung und des Nationalen Forschungsnetzwerks Universitätsmedizin (NUM) haben Studiendaten von weltweit mehr als 70.000 Teilnehmer:innen an Umfragen zu psychischen Belastungen durch die COVID-19 Pandemie ausgewertet und diese mit Daten vor der Pandemie verglichen. Die Analysen zeigen moderat erhöhte Belastungen durch depressive und Angst-Symptome in der Allgemeinbevölkerung. Junges Lebensalter, eine schlechte wirtschaftliche Situation sowie ein niedriges Bildungsniveau stellen u.a. Risikofaktoren für eine erhöhte psychische Belastung dar und bieten Ansatzpunkte für präventive Ansätze
Die COVID-19 Pandemie stellt für die Allgemeinbevölkerung und insbesondere für spezifische Risikogruppen wie Mitarbeitende im Gesundheitswesen oder Menschen mit psychischen Erkrankungen eine erhebliche psychische Belastung dar. Eine Forschungsgruppe um Angela Kunzler und Klaus Lieb vom Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz hat die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit während der 1. Welle der Pandemie untersucht und diese mit Daten vor der Pandemie verglichen sowie potenzielle Risiko- und Schutzfaktoren identifiziert. In die Analysen flossen Studienergebnisse zu mehr als 208.000 Teilnehmer:innen aus über 100 wissenschaftlichen Publikationen ein, die bis zum 29.05.2020 veröffentlicht worden waren. Quantitativ konnten hierbei Daten aus 43 Studien zu mehr als 70.000 Teilnehmer:innen zusammengefasst werden (Metaanalysen). Die Analyse entstand im Rahmen des Projekts CEOsys (www.covid-evidenz.de) innerhalb des Nationalen Forschungsnetzwerks Universitätsmedizin (NUM) in Zusammenarbeit mit der Universitätsmedizin Mainz (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie), dem Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung an der LMU München sowie dem Institut für Medizinische Biometrie und Statistik (IMBI) und dem Institut für Evidenz in der Medizin (IfEM) am Universitätsklinikum Freiburg.
„Die Studie stellt eine der bisher umfassendsten Analysen der psychischen Auswirkungen der 1. Welle der Pandemie dar“, erklärt die Erstautorin der Studie, Angela Kunzler, vom Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz. „Im Vergleich zu Daten vor der Pandemie konnten wir nachweisen, dass bereits während der 1. Welle der Pandemie moderat erhöhte Belastungen durch depressive Symptome und Ängste in der Allgemeinbevölkerung bestanden, und das weltweit“. Der Leiter der Studie, Professor Dr. Klaus Lieb, Direktor des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung und der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Mainz ergänzt: „Die Daten unterstreichen, dass auch die psychischen Folgen der COVID-19 Pandemie pandemische Ausmaße annehmen und die psychischen Folgen der Pandemie bei Infektionsschutzmaßnahmen stärker mitberücksichtigt und präventive Ansätze zur Förderung der psychischen Gesundheit und Resilienz verstärkt zum Einsatz kommen müssen“.
Weitere Analysen zeigten, dass weder die psychische Belastung noch das Stresserleben von Personal im Gesundheitswesen während der ersten Phase der Pandemie verglichen mit präpandemischen Daten erhöht war und sowohl bei Teilnehmer:innen aus der Allgemeinbevölkerung als auch bei Beschäftigten im Gesundheitswesen bestehende psychische Störungen, weibliches Geschlecht und die Sorge, sich zu infizieren, die relevantesten Risikofaktoren für eine psychische Belastung darstellten. Höheres Alter, eine persönlich gute wirtschaftliche Situation und ein höheres Bildungsniveau wurden hingegen als Schutzfaktoren identifiziert. „Zuverlässige Daten, wie sich die psychische Belastung bis zur 3. Welle in 2021 weiterentwickelt und ob die Belastung auch mit einer erhöhten Rate an psychischen Erkrankungen einhergeht, liegen bisher noch nicht vor“, erklärt Professor Dr. Klaus Lieb. „Erste Daten weisen jedoch darauf hin, dass die Belastungen eher zunehmen. Es sieht so aus, als konnten die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen während der 1. Welle der Pandemie noch gut auf Vorerfahrungen und Ressourcen zurückgreifen. Diese scheinen jetzt zunehmend erschöpft zu sein.“
Die Forschungsgruppe führt fortlaufend systematische Auswertungen veröffentlichter Studien in der Pandemie durch und arbeitet insbesondere daran, möglichst alle veröffentlichten Studien zu identifizieren und in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Dies ermöglicht ein sehr viel differenzierteres Bild als es einzelne Studien vermitteln können. Die Sorgfalt der Analysen ist Voraussetzung dafür, wissenschaftlich belegte Empfehlungen für präventive Maßnahmen und Interventionen zur Bewältigung psychischer Auswirkungen der Pandemie geben zu können.
Originalpublikation: Angela M. Kunzler, Nikolaus Röthke, Lukas Günthner, Jutta Stoffers-Winterling, Oliver Tüscher, Michaela Coenen, Eva Rehfuess, Guido Schwarzer, Harald Binder, Christine Schmucker, Joerg J. Meerpohl and Klaus Lieb https://globalizationandhealth.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12992-021-006…